12. April 2020 Doris Schöni 2Comment

Von Zeit zu Zeit versammeln sie sich, um sich auszutauschen und Rechenschaft über ihre Tätigkeiten abzulegen. Die Covid-19-Gesellschaft ist straff organisiert und hierarchisch aufgebaut. Die Präsidentin der Gesellschaft hält sich sklavisch an die Statuten, jede Abweichung davon wird geahndet. Im Augenblick hat sie Obwasser und suhlt sich im Erfolg der Pandemie.

Im jetzigen Zeitpunkt hat die Gesellschaft einen globalen Status. Die Versammlungen finden deshalb nach geografischen Kriterien statt. An der heutigen Rechenschaftssitzung steht die Schweiz im Fokus. Die Mehrzweckhalle, die für diesen Anlass gemietet wurde, befindet sich in unmittelbarer Nähe des Restaurants „Zum Eidgenoss“ und gegenüber des Polizeipostens. In der Halle fehlt es nicht an der modernsten Elektronik und auch nicht an einem Podium, das der Präsidentin vorbehalten ist. Auf den akkurat ausgerichteten Stühlen tummeln sich hunderte von Viren, Viren jeder Grösse und Farbe. Die Aerosolpartikel, die lediglich zu den Hilfsviren zählen, sitzen im Hintergrund der Halle.

Als die wuchtige Präsidentin die Halle betritt, jucken die Viren wie ein Mann auf und begrüssen ihre Leaderin mit dem hip hip hurra-Ruf. Sie nimmt die Huldigung entgegen wie eine Diva, die sie jedoch nicht verkörpert. Als sie sich auf ihren XXL-Bürostuhl wuchtet, freut sich Virus 221 (grün) halblaut: „Uii, sie hat wieder zugelegt“. Die Viren in seiner Nähe zischen „halts Maul“. Der Umgangston unter den Viren ist harsch.

Die Präsidentin eröffnet die Sitzung.In den höchsten Tönen lobt sie den Einsatz in der Schweiz, kann aber nicht umhin, beizufügen, dass sie eine noch grössere Ausbeute aus der Schweiz erwarte. „Geht also noch einmal hin und vermehrt euch“, gebietet sie den Anwesenden. Für die Aerosolpartikel gibt es Schelte: „Obwohl ihr untergeordnet seid, hätte ich mehr von euch erwartet, ihr habt einmal mehr vor lauter Bequemlichkeit zu wenige Schweizer infiziert“. Die Hilfsviren murren. In der Schweiz ist es ihnen zu warm geworden. Sie sehnen sich nach den Spitzbergen.

Nun geht die Präsidentin zu den persönlichen Befragungen über:“Virus 221- grün, berichten Sie“. Virus 221 steht auf, puterrot im Gesicht stammelt es: „Ja, was soll ich denn berichten?“ Die Versammlung lacht. Die Präsidentin sagt streng: „Von Ihren Erfolgen. Von Ihren erfolgten Angriffen. Vom Resultat Ihrer Ansteckungen“. Virus 221: „Einen grossen Erfolg hatte ich“. Die Versammlung wiehert. Die Nummer 221 wird wütend: „Ob ihr es glaubt oder nicht.Vor einigen Tagen sass ich auf einer Plastikschale von der Migros, die Himbeeren enthalten hatte, die waren aber schon gegessen. Zwei ältere Frauen mit Hunden setzten sich auf die Bank neben dem Stein, auf dem die Schale mit mir stand. Ich suggerierte den Frauen, mich anzufassen. Die eine war völlig uninteressiert. Die andere schien sehr ordentlich zu sein. Ich mobilisierte alle meine telepathischen Kräfte. Und siehe da: Die beiden Frauen standen auf, um weiterzugehen, dabei schnappte mich die ordentliche, und zwar genau an der Stelle, wo ich sass. Die Schale warf sie in einen Abfallkübel, ich hatte mich aber in eine der Rillen auf den Fingerkuppen festgekrallt. Und wie erhofft, griff sie sich beim Autofahren an die Nase, so dass ich mein Sekret abstreifen konnte“. Stolz wirft das Virus seine Hände fuchtelnd in die Luft. Stille. Dann die schneidende Stimme der Präsidentin: Und, ist die Frau erkrankt und gestorben?“ Virus 221-grün wird rot. „Das weiss nicht nicht, Madame …“. Die Präsidentin wendet sich ab und zischt: „Du blöder Trottel. Ich relegiere dich zu den Aerosolpartikeln“. „Bitte nicht“, fleht das disqualifiziete Virus. „Meine Frau …“. Mit angewidertem Gesicht ruft die Direktorin das nächsten Virus auf.

Das nächste Virus ist die Nummer 35-rosa. Es scheint eine Frau zu sein. Die Präsidentin hasst Frauen noch mehr als die angenommen männlichen Viren. „Erzählen Sie“. Zögernd steht Virus 35-rosa auf. „Ich finde diesen Run auf Opfer degoutant“. „Degou was?“ fragt die Präsidentin, denn sie beherrscht die französische Sprache nicht. „Zum Kotzen,“ schiebt das Virus 35-rosa nach. „Pfui“, schreit die Direktorin, „ein solches Vokabular verbete ich mir“. Virus 35-rosa ist jedoch nicht mehr zu stoppen: „Alles dreht sich nur noch um Zahlen. Sie säen überall Unfrieden.Hetzen die Viren gegeneinander auf mit ihrer Erfolgssucht. Sie zwingen uns, Menschen anzustecken und danach zu ermorden“. „Quatsch“, erwidert die Präsidentin, „ihr seid alle freiwillig da und profitiert von unseren Boni“.

Die Zusammenkunft der Covid-19-Gesellschaft gerät in einen Strudel von befürwortenden und ablehnenden Viren. Wie in solchen Situationen üblich, kommen zuerst die schwächsten Mitglieder unter Beschuss. Die Hilfsviren auf den hinteren Rängen werden mit allerlei Gegenständen beworfen. Heulend und schreiend flüchten sie. Die Präsidentin versucht, sie zurückzuhalten: „Bleibt doch hier, ihr bekommt doppelte Boni und erst noch die Option, zu vollwertigen Corona-Viren zu mutieren“. Auch die vollwertigen Viren beginnen, sich zu bekämpfen. Die Giftigsten unter ihnen versprühen ihre Tröpfchen so weit sie können, drei von ihnen spritzen in die Nasenlöcher der Präsidentin. „Seid ihr denn völlig von Sinnen“, röchelt sie mit fiebrig-glasigen Augen. Die Viren mit den höchsten Boni eilen ihr zu Hilfe und dämpfen ihren dumpfen Sturz auf den Boden. „Hilfe, Hilfe“, schreien sie, „unsere Präsidentin halluziniert“. Virus Nummer 35-rosa mischt sich ein: „Halluziniert hat sie schon immer“. Und fügt bei: „Diese intrigante und herrschsüchtige fette Molluske“.

In der Mehrzweckhalle herrscht ein unglaubliches Tohuwabohu. männliche Viren dreschen aufeinander ein, aufgetakelte weibliche schlagen sich ihre Sonntagstäschchen um die Ohren, die drei Treuen der Präsidentin knien vor ihr, sie, die immer bellender hustet und nach Atem ringt, „ein Arzt, ein Arzt“ brüllen sie, doch unter den Viren-Mitgliedern befindet sich kein Arzt. Dann eilt der Hauswart herbei, wütend, aus seinem Mittagsschlaf gerissen worden zu sein, „Hört auf und hört mal her“, seine Stimme überschlägt sich. „In fünf Minuten ist diese Halle geräumt, gewischt und geputzt und wehe, es liegt noch etwas auf dem Boden. Was die Angesteckten betrifft, so schafft sie in Krankenhäuser“. Er geht von dannen und Stunden später findet man ihn, sehr fiebrig und keuchend über den „BLICK“ gebeugt.

In der Halle ist es nun totenstill. Die Angesteckten liegen in ihrem Schweiss und atmen stossweise. Die Hilfsviren haben sich in Ritzen und zwischen den Fugen versteckt. Virus 221-grün und Virus 35-rosa streiten um die Vorherrschaft. Rosa: „Du bist schlicht zu dumm für diese Aufgabe“. Grün:“Du blöde, eingebildete Schnepfe, wer meinst du eigentlich zu sein?“ Sie schreien sich mit nasser Aussprache an. Die Tröpfchen schiessen hin und her wie Pingpongbälle.

Virus 35 gelingt es, die Versammlung aufzulösen. Sie scheucht die Anwesenden wie Hühner aus der Halle. Für die Angesteckten organisiert sie Krankentransporte und Spitalplätze. Nach ihrer Zählung sind alle Mitglieder der Gesellschaft erkrankt. Virus 221 wischt und putzt und räumt auf. Im täglichen Leben verrichtet es dieselben Tätigkeiten. Als sie sich nach einer Stunde schwer atmend und schweissüberströmt gegenüber stehen, ahnen beide: Uns hat es ebenfalls erwischt.

Plötzlich brechen sie in ein hysterisches Fou rire aus: Als Corona-Virus wurden sie von anderen Corona-Viren befallen. Bei einer medizinischen Behandlung werden sie vom fremden Virus befreit, aber auch sie als Virus werden vernichtet. Wenn das keine Erfolgsgechichte ist: Viren werden von Viren unschädlich gemacht.

P.S. Die Präsidentin übersteht die Ansteckung. Nun wird sie bei einer anderen Gesellschaft ihr Unwesen treiben. Das hingegen ist keine Erfolgsgeschichte … .

2 thoughts on “Von Viren und Viren

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