… rückt der Tag X, das heisst, der Zeitpunkt der Operation, näher. Zwar lebe ich noch immer in den Tag hinein, habe aber eine Todesanzeige verfasst, eine emotionale, hochdramatische Anzeige, die angesichts meines Datenchaos ohnehin nicht gefunden werden kann.
Und die An.gst wächst. Werde ich die Operation überstehen? Mit welchen Folgen? Die langwierige Wiederherstellung und die Gewöhnung an den künstlichen Blasenausgang. Wird schrecklich bis zum Ende des Lebens.
Mein amerikanischer Freund bewundert meinen Mut. Ich höhne: „Mut? Ich habe doch keine andere Wahl“. Ja, ich halte mich wacker. Reisse Witze über mich selbst und diskutiere über Lukas Bärfuss‘ Vokabular. Auch habe ich aus meiner Bibliothek ungelesene Bücher für meinen langen Spitalaufenthalt ausgesucht. Primo Lervi, Antisemitismus, Geschichte des Faschsimus von meinem Onkel Walter Laqueur, einen Lukas Hartmann usw. Vielleicht ist ja das Lesen auch wieder eine Illusion: Und wenn ich dazu nicht in der Lage bin? Zu beschädigt. Verunstaltet. Amputiert. Die Frage stellt sich: Hätte ich lieber ein Bein geopfert? Nein. Aber warum hat mir niemand gesagt, dass Rauchen Blasenkrebs verursacht? Die Frage ist müssig: Hätte ich es geglaubt? Nein, natürlich nicht. „Mir nicht,“ lachte ich, „passiert das doch nicht“.
Noch zweieinhalb Tage bis zum Spitaleintritt. Waschen. Ordnung schaffen. Eisschrank ausmisten. Die Zeit wird wieder nicht reichen. Dann wird eine Putzbrigade organisiert, die das ganze Haus auf den Kopf stellt. Das sollte meine Rehabilitation erleichtern, denken sie. Erschwert sie jedoch. Ohne Chaos ist mir unwohl. Wir sind wie eineiige Zwillinge, das Chaos und ich.
Unbarmherzig schlägt die Uhr. Das erinnert mich an Jacques Brel’s Chanson „Les vieux“ mit dem Refrain:
Est-ce de voir vieillir la pendule d’argent
Qui ronronne au salon Qui dit oui qui dit non, qui dit „je vous attends“