27. April 2022 Doris Schöni 1Comment

„Wir sind alle aus Sternenstaub entstanden“, erklärte ein Astrophysiker unlängst. Wissenschaftlich bedeutet es, dass die Menschen des Planeten Erde alle desselben Ursprungs sind. Diese Evolution dauerte Milliarden von Jahren. Zufall: günstige Bedingungen in der Milchstrasse schufen die Voraussetzungen für menschliches Leben auf der Erde. Die beiden Schwestern entstanden ebenfalls aus Sternenstaub, Sternenstaub zweier unterschiedlicher Milchstrassen. Und da es Millionen von Milchstrassen gibt, stammten sie aus ganz entfernten.

Schon als Kinder waren sie völlig unterschiedlich: die Ältere war Mutters Bevorzugte, da reinlich, folgsam, ängstlich, problemlos. Die Jüngere war ein kleiner Teufel, zerstörte, auch die Puppen ihrer Schwester, prügelte sich mit Knaben, war furchtlos und impertinent. In den Schulen verursachte sie ständig Probleme, arbeitete nur in den Fächern, die ihr gefielen und vernachlässigte jene, die ihr missfielen. Ihr schlechter Ruf eilte ihr voraus, und zwar von Schule zu Schule. Über zwanzig, kamen die Schwestern gut miteinander aus. Die Ältere folgte ihrem Mann ins Ausland, wo er bei einem Schweizer Multi arbeitete. Nach dem Nahen Osten wurde er in einen Golfstaat und danach nach Westafrika versetzt. Er war ein harter und harscher Manager, der die Leiter erklomm und ganz nach oben gelangte. Seine Schwägerin verspottete er, sie sei eine dumme, naive Idealistin, weil sie unentgeltlich für NGOs arbeitete, sie sei ja so blöd mit ihren Ansichten und politischen Aussagen und ohnehin zu nichts fähig.

Es war nicht nur Afrika, das die Ältere veränderte. Schon immer anpassungsfähig, übernahm sie das Gehabe der Expats, wurde rassistisch, verachtete die Afrikaner, liess die sogenannte Stewardess, den Chauffeur, die Tages- und Nachtwächter ihre westliche Überlegenheit spüren. Die meisten Expat-Frauen mit erfolgreichen Männern aus Wirtschaft und Technik beklagten sich über ihre Angestellten, über deren angebliche Primitivität.

Ein schreckliches Unglück geschah. Wie oft, fuhren die Ältere mit ihrem Mann in die Skiferien. Wie zwanzig Jahre zuvor, rasten sie von Frühmorgens bis in den Nachmittag über die Pisten, von tausend auf über dreitausend Meter ü.M. hinauf, hinab. Der Mann fiel hin und regte sich nicht mehr. Handies waren damals noch nicht weit verbreitet, eine Krankenschwester kurvte heran, versuchte, ihn zu beleben, bis endlich ein Helikopter eintraf, ihn nach einem Abstecher zu einem Bezirksspital in das Universitätsspital der Hauptstadt brachte. Dort gelang es den Ärzten, den 55-jährigen Mann wieder ins Leben zu rufen. Aber zu welchem Preis?

Wegen mangelndem Sauerstoff im Gehirn lebte er auf der Stufe eines Kleinkindes noch 25 Jahre. In unverbrüchlicher Treue besuchte ihn seine Frau täglich im Krankenheim. Sie wies nicht nur das Pflegepersonal zurecht, sondern auch ihren versehrten Mann, als wolle sie ihn erziehen. Sie meisterte ihr Leben ohne Mann hervorragend, lernte fremde Sprachen, verreiste in ihr noch unbekannte Länder, blieb aber seltsam rückwärtsgewandt, indem sie vornehmlich von den Reisen, die sie mit ihm, ihrem Mann, unternommen hatte, erzählte. Sie verhielt sich wie all jene Witwen, die im Dauerstreit mit ihren Angetrauten, sich nach deren Tod Euphemismus betreiben und sie auf ein Denkmal setzen. Begab sie sich auf Reisen, wies sie ihre Schwester an, ihren Schwager zu besuchen und ihm Essen zu bringen. Ihn, der nicht mehr sprechen, gehen, essen, lesen konnte, von Krämpfen geschüttelt wurde, verwöhnte sie, brachte ihn mit allerlei Spässen zum Lachen, Spässe, die ihre ältere Schwester in Rage versetzten, sie mit der heftigen Bemerkung stoppte, er sei doch kein Idiot. Die Besuche im Kranken- und Altersheim, diesem Antichambre des Todes, in dem Frauen Stofftiere und Puppen in ihren Armen wiegten, Männer Zeitungen kopfüber lasen, den im Heim üblichen Milchkaffee aus Untertellern schlürften, den Pensionären das Mittagessen um 11 Uhr 30 und das Nachtessen um 17 Uhr aufgetischt, sie um 19 Uhr ins Bett gebracht wurden, belasteten die jüngere Schwester über Gebühr. In ihrem mehr oder weniger selbstbestimmten Leben verstörte sie das Vegetieren im Kranken- und Altersheim, das sie an Hieronymus Boschs Höllenbilder erinnerte. Im Auto auf dem Heimweg konnte sie sich nur mit Mühe davon abhalten, in einen Brückenpfeiler zu rasen.

Sie vermied es daher, ihren Schwager zu besuchen. Ihre Schwester nahm ihr diese Entscheidung sehr übel, so übel, dass die ältere die jüngere Schwester mit Feindseligkeit, ja Hass begegnete, diesen Hass auch vor anderen Personen nicht zügelte. Eine wird vor der anderen sterben. Die zurückbleibende wird sich bis zum eigenen Ableben mit der Frage quälen, warum sie derart hasste oder warum sie derart gehasst wurde. Zu einer Bankrotterklärung wird es nicht kommen – Sternenstaub ist gefallen.

One thought on “Sternenstaub, oder die Bankrotterklärung

  1. Manche Menschen meinen das das Blut Beziehung fester als Freundschaft ist. Treueheit und Erbarmen ist meistens zwieschen Freunde und hat nichts mit Familien Verhältnisse zutuhen! Trotzdem dem Hass und der Unterschied und des beleidigen ist die „Dume“ Schwester, Schwägerin die Positive Person des Fall!

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