Die diesjährige Hitze befreit von überflüssiger Kleidung. Endlich wagen sich mittelalterliche Männer sockenlos in die Sandalen.
Aber bitte begutachte doch jede und jeder sein „unten ohne“, bevor sie oder er kurze Hosen kauft, selbstkritisch vor dem Spiegel. Wenigen Frauen und Männern ist es vergönnt, ihren Gehapparat öffentlich zur Schau zu stellen. Männer, deren Beine im Anzug tadellos aussehen, büssen diese Tadellosigkeit ein, wenn ihre unteren Extremitäten enthüllt werden. Manche Vertreter des männlichen Geschlechts haben Beine wie Albträume, schwer und mastig.
Bei vielen Frauen hat man den Eindruck, dass sie Spiegel meiden, bevor sie in ihre Shorts schlüpfen. Es scheint eine Ungerechtigkeit der Natur zu sein, dass Frauenbeine früher schrumpfen, also im mittleren Alter faltig und schlaff werden. Falls sie noch nicht geschrumpft sind, quellen sie (zu) oft aus Hosen und Höschen ähnlich fetter Quallen. Das Fleisch überbordet. Das Fett an den Schenkeln geht nahtlos ins Hinterteil über, eine wabbelige Masse. Auch bei jungen Frauen, deren Unterteil noch kompakt ist, stören Wülste. O-Beine nennen zwar viele Fussballer ihr eigen, sind jedoch entblösst bei kleinen Frauen ein äthetischer Faux-pas.
Schöne Beine sind nicht nur vergänglich, ihre Darstellungen entsprechen auch den jeweiligen Epochen. Die fabelhaften Beine von Michelangelos David entstanden in der Hochrenaissance. Die wülstigen Putten sind Zeugen des Barocks. Twiggy, mittlerweile 70 geworden, war als spindeldürre Jugendliche in den 60er und 70er Jahren sozusagen der Beginn der Frauenemanzipation. Was heisst das für heute? Die Beine haben sich wohl nicht gross verändert, obwohl die Menschen grösser geworden sind. Vieileicht deutet der Mangel an Dezenz auf das heutige, fast tabulose Leben in Europa hin. Ein Vor- oder Nachtreil?