Gross, mächtig, breit, muskulös, kurznackig und schaufelhändig stehen sich zwei Männer wie Bärenmanis gegenüber und versuchen, sich an die Wäsche, das heisst, die Schwingerhosen, zu gehen. Sie zerren, stossen, stellen ein Bein, fallen sich unsanft in die Arme und landen, der eine auf dem anderen auf dem Boden, nein, im Sägmehl, strampeln, das Gesicht im Sägmehl begraben, und der eine steht auf und hat gewonnen. Der Gewinner streicht etwas Sand vom Hemd des Unterlegenen, sie geben sich artig die Hand, die zahlreich erschienenen Zuschauer klatschen frenetisch.
Schwingen ist im Schwang. Sein Aufschwung hat wohl einige Gründe: Die „Welt“ ist vielfältiger und komplizierter geworden. Die Elektronik ist unüberschaubar, die Flüchtlinge erzeugen Angst, Angst vor Neuem, Ungewohntem, Fremdem. Angst auch vor ihrer allfälligen Konkurrenz. Der Graben zwischen Stadt und Land, Jung und Alt, Arbeitern und Akademikern ist tiefer geworden. Jener zwischen Impfgegnern und Impfbefürwortern brachte das Fass zum Überlaufen, denn eine Einigung kam nicht zustande. Die Welt verändert sich in rasendem Tempo, alles ist in Veränderung, Menschen, die nicht mit der Politik in Berührung kommen, haben allen Grund, argwöhnisch zu sein.. Solche tief verunsicherten Menschen weichen zurück, zurück in die Vergangenhei, die ihnen vertraut ist, Sie suchen Sicherheit bei alten Bräuchen, vaterländischen Vereinen, Sing- und Jodler-Gruppen. Ein Run auf Volksbelustigungen, die früher stattfanden, sind in Mode gekommen. In unsicheren Zeiten besinnt sich der Mensch seiner Wurzeln.
Die Wurzeln des Schwingsports in der Schweiz sind nicht eindeutig zu bestimmen. Eine erste Darstellung aus dem 13. Jahrhundert (in der Katherale von Lausanne) zeigt bereits die typische Art, Griff zu fassen. In der Zentrlschweiz und im Mittelland, vorab im (Vor-) Alpenraum, gehörte der Hosenlupf zum festen Bestandteil der Festkultur. An zahlreichen Alp- und Wirtshausfesten schwangen Bauern, Sennen und Küher um ein Stück Hosentuch, ein Schaf oder um andere Naturalien, wobei der Ruhm des Sieges weit mehr zählte als der materielle Wert des Preises.
Eine Neubelebung des Schwingens brachte das erste Alphirtenfest zu Unspunnen 1805, zu einer Zeit, als die Schweiz unter französischer Fremdherrschaft stand. Das Bestreben dieses Fests war ausdrücklich die Hebung des schweizerischen Nationalbewusstseins.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben denkwürdige Schwingfeste und eine rege Aktivität geschulter Turnpädagogen das Schwingen auch in die grossen Städte gebracht. So wurde aus dem ursprünglichen Kampf der Hirten und Bauern ein Nationalsport, der alle Schichten umfasst. Die Verbände, allen voran der Eidgenössische Schwingerverband (gegründet 1895), organisierten den Sport, indem regionale Eigenarten integriert, mit Lehrbüchern und Trainingsstunden das Niveau gehoben und zeitgemässe Wettkampfregeln geschaffen wurden. Trotz dieser Ausweitung auf die städtischen Gebiete ist das Schwingen aber heute noch in den der Tradition verpflichteten ländlichen Gegenden des Deutschschweizer Voralpengebiets am populärsten.
Das Schwingen ist traditionell ein Männersport. Die Schwingerkönige sind weiten Bevölkerungskreisen namentlich bekannt und haben den Status von Sportprominenten. Frauen schwingen erst seit Ende des 20. Jahrhunderts (Gründung des Frauenschwingverbands 1992) und werden von den traditionsbewussten Schwingerfreunden je nachdem mit Argwohn betrachtet, die Akzeptanz des Wyberschwingets nimmt jedoch zu. Dass es jedoch zwei Schwingverbände gibt, einen männlichen und einen weiblichen, spricht eher gegen diese Akzeptanz.
Es wäre unfair, über den Schwingsport oder eben den Bären-Pas de deux zu spotten. Er gehört zum schweizerischen Brauchtum. Er erleichtert einigen Volksvertretern das Leben. Jenen, die felsenfest von Werten wie Treue und Ehre überzeugt sind, jenen, die von Europa unabhängig bleiben wollen, jenen, die Ausländern, besonders jenen aus Afrika und den arabischen Staaten, den Einlass in die Schweiz erschweren möchten. Und jenen, die soeben das Militärbudget um zwei Milliarden auf Kosten der Bildung erhöht haben.
Das Schwingen ist eben ein Männersport. Tanzt Bärenmanis, tanzt den Pas de deux … .