Der Aufschwung, den der Schwingsport in den letzten Jahren erfuhr, ist ein Phänomen. Die Gründe für dessen Popularität sind vielfältig. Einer davon steht wohl im Zusammenhang mit dem aufkeimenden Vaterlandsstolz, Swissness ist in, man besinnt sich wieder auf seine Wurzeln. Sprechen, wie einem der Schnabel gewachsen ist und einen Sport lieben, der nur in der Schweiz betrieben wird, gehen Hand in Hand. Schwingen ist weder olympisch – und wird es auch nie sein – noch international, die Namen der Schwingenden sind typisch schweizerisch, bodenständig und vertraut. An Schwinganlässen treten Jodlerchörli und „Hudigägeler“ auf, man hüllt sich in Tracht und die Männer rauchen Stumpen. Der Sieger eines Festes gewinnt einen robusten Muni und der Gabentisch biegt sich unter der Last von landwirtschaftlichen Geräten. Das Landleben übertrifft die multikulturelle Stadt. Die sogenannten Bösen stecken ihre verschwitzten Köpfe in den eigens für das Fest gefertigten Holzbrunnen und – auch das ist eine Art „retour à la nature“ – die Pissoirs sind öffentlich einsehbar.
Und: Man dutzt sich. Auch das ist ländliches Brauchtum.
Diese Rückkehr ist nicht neu. Der geneigte Leser erinnert sich an Albrecht v. Haller (1708-1777), dessen „Versuch Schweizerischer Gedichten“ (1732) in der deutschen Literatur eine grosse Wirkung hervorrief. Haller schilderte das Hochgebirge, stellte das naturnahe Leben der Alpenbewohner den verdorbenen Sitten der Städter gegenüber und übte Kritik am Einfluss Frankreichs (vgl. Urs Boschung in: Historisches Lexikon der Schweiz).
Auf der Homepage des Schweizerischen Schwingverbands ist zu lesen, dass eine der ersten Darstellungen des Schwingens aus dem 13. Jahrhundert stammt. Im 16. und 17. Jahrhunderte führte die strenge Sittengesetzgebung zu Schwingverboten. Eine Neubelebung des Schwingens brachte das erste Alphirtenfest zu Unspunnen im Jahr 1805 zu einer Zeit, als die Schweiz unter der französischen Fremdherrschaft litt. Der Anlass zu diesem Fest war ausdrücklich die Hebung des schweizerischen Nationalbewusstseins.
Hand aufs Herz: Finden Sie das Schwingen eine ästhetische Sportart? Schon die geschlitzten Twilchhosen sind ein Affront fürs Auge. Das Beinkleid darunter scheint aus der Mottenkiste zu stammen. Nur das Schuhwerk hat sich modernisiert. Anstelle der klobigen Holzböden dürfen nun Turnschuhe getragen werden. Die jeweiligen Hemden oder Leibchen sind keine Kreationen von Yves St-Laurent. Sie haben Tausende von Wäschen ausgestanden.
Die Schwinger selbst – oh je. Vielleicht sind sie für gewisse weibliche Schwinggroupies attraktiv. Oder Frauen, die Schutz vor Bären und Felsstürzen suchen. Meist sind sie massiv wie die Alpen, ihre Köpfe stecken auf mächtigen Schultern, die Nacken sind sozusagen im Körper integriert. Vor lauter Muskeln gehen sie breitbeinig.
Solche Posturen eignen sich bestens und nur fürs Schwingen. Wenn sie sich aufs Kreuz zu legen versuchen, könnte ihre körperliche Nähe falsch ausgelegt werden. Ausser im Ringen kommen sich keine anderen Sportler körperlich derart nahe. Und wenn dann der Chrigu auf dem Housi liegt …, na ja. Jede zweideutige Anspielung wäre jedoch falsch am Platz. Die Schwinger sind ohne Zweifel ganze Mannen und keine Queens. Stellen Sie sich vor, der eine oder andere würde sich outen.
Die Zeit wird kommen, in der behändige Secondos und Terzos die Kolosse des Schwingsports verdrängen. Sie werden schlanker und schneller und statt mit Urgewalt mit Eleganz kämpfen. Lieber ein multikulturelles, denn ein populistisches Schwingen, nicht wahr. Oder lieber nicht?