Erstmals wurde die Geschichte der Holzpuppe 1881 in der Kinderzeitschrift “Giornale per i bambini” veröffentlicht. Es gab jedoch eine Pinocchio-Geschichte fast tausend Jahre früher. Diesem Ur-Pinocchio wuchs beim Lügen nicht die Nase, sondern die Beine. Deshalb nannte man ihn den „Riesen Pincochio“.

Pinocchio kam nach dem Spielen nach Hause. Er war erhitzt, glückselig. Grossspurig erzählte er seiner Mutter: „Heute im Wald habe ich Rübezahl getroffen“. Die Mutter schimpfte: „Du flunkerst wieder, Sohn. Rübezahl lebte einige hunder Jahre nach dir“.Mit einem Ruck verlängerten sich Pinocchios Beine um zehn Zentimeter. Am nächsten Tag fabulierte Pinocchio: „Mutter, mir lief Parzival über den Weg“. Die Mutter, gereizt: „Der lebte in den Jahren 1200 bis 1210. Du betreibst Geschichtskliterung, bleibe doch einfach bei den Facts“. Und wieder schnellte Pinocchio zehn Zentimeter in die Höhe.

Pinocchio wuchs zu einem gutaussehenden jungen Mann heran. Seine Angst, noch grösser zu werden, hemmte ihn im Lügen. Als ihm ein Mädchen gefiel, warf er sich an ihren Hals und stammelte: „Ich will dich heiraten“. Beim Verb „heiraten“ legte er erneut zehn Zentimeter zu und der Grössenunterschied zwischen ihm und dem Mädchen wurde unüberwindlich. Pinocchio fiel in eine tiefe Depression. Er überwand sich und holte Rat bei den sieben Weisen. Er erzählte eine Lüge nach der anderen, dabei wuchs er zu eine Grösse, die bis zum Mond reichte.

„Warum lügst du, Pinocchio?“ fragte der Älteste der Weisen. Keine Antwort. „Du lügst, um Aufmerksamkeit zu bekommen.“ Wieder keine Antwort. „Du lügst, um einer zu sein, der du nicht bist.“ Stillschweigen. „Du lügst, um dich im wahrsten Sinn des Wortes grösser und wichtiger darzustellen.“ Pinocchio seufzte. „Du lügst, damit du wahrgenommen und geliebt wirst.“ Pinocchio schluchzte. Mit jedem Schluchzer schrumpfte er. Als er seine natürliche Grösse erreicht hatte, hörte er auf zu schluchzen. „Und jetzt, Pinocchio?“ fragte der Älteste.

„Jetzt?“ Pinocchio streckte sich. „Jetzt z,iehe ich in die punischen Kriege und hoffe auf den Heldentod“. Er verschwand und kam nicht wieder.