25. Mai 2017 Doris Schöni 1Comment

Man wird nachlässig. Merkt nicht mehr, dass die Katzen – die man mit dem Haus übernommen hatte – ins Büro pinkeln. Riecht nicht mehr – da einem das Schmeck- und Riechgefühl abhanden gekommen ist – den üblen Geruch des Hundeknochens. Sieht zwar die Lebensmittelmotten durch die Küche flattern und lässt sie flattern. Vergisst oder verdrängt, den Kühlschrank zu leeren, schliesst ihn schnell, um das Desaster zu übersehen. „Bei dir stinkt es“, sagen Freunde, und man freut sich über die angenehmen Temperaturen, die es erlauben, nun im Garten zu speisen.

Das Alter – immer wieder und immer mehr. Wer nachlässig war, wird es noch mehr. Die früheren Putzteufel verändern sich zu Sauberkeitsterroristen. Die bösen Alten entwickeln sich zu  Bersekern, die lieben zu Trotteln. Gegen Windmühlen zu kämpfen fällt leichter als gegen Müll und Unordnung. Die hochfliegenden Gedanken lähmen das Realitätsbewusstsein. Man wird irgendwie sehend und sieht nichts mehr.   

„Quand je serai vieux, je serai insupportable“, sang der belgische Chansonnier Jaques Brel, und starb noch nicht fünfzigjährig. Ist man jung, stellt man sich, inspiriert von diesem Chanson, vor, als alter Mensch alle kreuzenden Passanten auf der Kirchenfeldbrücke zu ohrfeigen. Wenn das Alter dann fortschreitet, überquert man die Brücke nicht mehr – im wahrsten Sinn des Wortes.

Viele Alte haben Angst, nur noch Angst: Vor Terroristen, Ausländern, verschleierten Frauen, Kriminellen, Drogensüchtigen, Einbrechern, Enkel-Tricksern, Dieben, Betrügern, falschen Freunden, geldgierigen Verwandten, Jugendlichen, Hunden, Viren, Bazillen, Mücken (und Elefanten). Alte, die keine Angst haben, werden als Randständige be(oder ver-)urteilt. Sie werden aus den Altenleitbildern der Gemeinden ausgeklammert. Alter und Angst sind Synonyme. Und wenn nicht, so wäre der Galgenhumor passend.

Das Alter überfällt einen spätestens im Augenblick, in dem eine jüngere Person einen aus dem Arbeitsprozess verdrängt. In diesem Augenblick altert man um zwanzig Jahre. Der Lebensfaden wird gequetscht. Der Gequetschte wird zum Zerquetschten, weil man keine adäquate Arbeit findet. Man hat kein Recht auf Arbeit mehr. Die Jungen beanspruchen dieses Recht. Man wird zurechtgewiesen, mit Vorwürfen überhäuft, lächerlich gemacht. Die meisten alten Menschen haben Ersparnisse. Jene, die keine haben, vielleicht weil sie Freiwilligenarbeit leisteten, und eher in die Arbeit, als in die Entlöhnung investierten, sind selber schuld, wenn sie im Alter ihre Ansprüche, die ein Leben lang zu hoch waren, zurückstecken müssen. Eine Zweizimmerwohnung sollte ihnen genügen, ein Auto brauchen sie nicht mehr und anstatt Geld für Bücher zu verschwenden, werden ihnen die Gratiszeitungen beliebt gemacht. Der Besuch von Konzerten mit klassischer Musik – die nicht billig sind – wird ihnen abgesprochen; in den Altersheimen bekommt man die Auftritte der Jodlerchörli unentgeltlich.  Das Alter: Die letzte Schule. Die Schule der Genügsamkeit.

. © Urs Baumann

 

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