Die Seniorenresidenz Senevita-Multengut, Muri, nahm an einer Veranstaltung der Senevita AG in Ittigen anfangs Mai 2022 teil unter dem Titel „Individualität im Alter“. Was an dieser Veranstaltung von Fachleuten vorgetragen wurde, tönt vorbildlich. Es entspricht aber nicht der Wirklichkeit.
Wird zur Kenntnis genommen, dass die heutigen Alten anders sind als vorher? Es sind ehemalige 68er, sie sind politischer, aufgeschlossener, vernetzter. Anstatt „café complet“ essen sie am Abend lieber ein Steak oder einen Veggie-Burger. Sie sind auch individualistischer und haben eine klare Vorstellung, wie sie ihr Alter gestalten möchten. Vor allem, wenn sie sich relativ guter Gesundheit erfreuen, möchten sie unabhänig lebenund nicht bemuttert werden.
Viele Alterseinrichtungen funktionieren noch wie früher, das heisst, sie fokussieren ganz auf die physische, nicht aber die geistige Gesundheit. Im Veranstalungsprogramm der Senevita-Multengut werden körperliche Tärigkeiten und Singen angeboten, aber auch Jassen wird grossgeschrieben. Kulturelle Veranstaltungen finden statt, doch sie sind öffentlich. Voll auf die Gesundheit der Senioren ausgerichtet ist das Altersleitbild der Gemeinde Muri 2021-2031: Die einzige intellektuelle Forderung und Förderung besteht darin, älteren Menschen zu „einer Einführung von benutzerfreundlichen digitalen Plattformen für Vernetzung … Organisationen des Gesundheits- und Sozialwesens“ zu motivieren. Bedenklich ist im Altersleitbild übrigens das Ziel, Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen u.ä. zu „füllen“, das heisst, mit mehreren Personen besser auszulasten. Der Schrei nach Verdichtung im Wohnbereich ist ja eine immer wiederkehrende Nötigung, die Alten aus Einfamilienhäusern und grossen Wohnungen zu vertreiben in der stillschweigenden (und falschen) Annahme, das alte Menschen kaum mehr Platz benötigen würden.
Zurück zu den Alterseinrichtungen: Es gibt welche (die Seniorenresidenz Multengut, Muri, gehört nicht dazu), die unangepassten Senioren die letzten Momente ihres Lebens vergällen. Falls sie sich aufmüpfig benehmen- aus Verzweiflung, ihr Leben in einer Institution auszuhauchen oder sie sich nach einem selbstbestimmten Leben in Abhängigkeit begeben müssen oder ihre Invidualität nicht berücksichtigt wird und sie sich lauthals beklagen, werden sie ans Bett gefesselt, sediert, ihre zu gross gewordenen Gebisse werden nicht verkleinert (das lohnt sich nicht mehr in vorgerücktem Alter!), Pflegerinnen haben heute weder Nerven noch Kraft wie ihre Vorgängerinnen. Und da sie jeder Handreichung auf dem Computer dokumentieren müssen, haben sie keine Zeit mehr, sich mit den alten Menschen zu beschäftigen.
Für die jetzigen neuen Alten müssten neue Lösungen gefunden werden. Zum Beispiel mit Altersdörfern (es gibt sie in Holland), die selbstverwaltet werden. Altersdörfer, die keine Pflegerinnen brauchen, sondern Philosophen, Psychiater, Schriftsteller … einfach Intellektuelle, welche Wissen vermitteln und der Gesundheit weniger Wert beimessn.
Eine Utopie? Nein, ein Bedürfnis..