Das Substantiv „Nachhaltigkeit“ hätte schon lange zum Wort des Jahres erhoben werden müssen, da es sehr häufig angewandt wird, ja, es hat sich zum Lieblingswort der Schweizer gemausert. In einem Radiobericht vom 3. Juni 2021 war die Rede von der finanziell prekären Lage bei der Durchführung von Schullagern. Oft sponsern die Gemeinden diese Lager, allerdings unter der Auflage, dass sich die Schüler im Lager mit der wichtigen Frage der Nachhaltigkeit befassen müssen. Nachhaltigkeit scheint den Schweizer Politikern wichtiger zu sein als die Lesefähigkeit der Schulabgänger, die nur 80 Prozent beträgt. Was ist mit den verbleibenden 20 Prozent? Es ist nachgerade eine Binsenwahrheit, dass sich der Bildungsstandard in den letzten 20 Jahren ziemlich verschoben hat. Keine nostalgischen Jeremiaden über die „gute, alte Zeit“, wobei sie sprachlich wirklich besser war als heute. Die Sprache ist im Begriff, zu verrohen, aber dennoch bekommt die Nachhaltigkeit Priorität.
Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Syteme (vor allem von Lebewesen und Ökosstemen) gewährleistet werden soll. Im entsprechenden englischen Wort „sustainable“ ist dieses Prinzip wörtlich erkennbar: „to sustain“ im Sinne von aushalten bzw. ertragen. Mit anderen Worten: Die beteiligten Systeme können ein bestimmtes Mass an Ressourcennutzung dauerhaft aushalten, ohne Schaden zu nehmen. Das Prinzip wurde zuerst in der Forstwirtschaft angewendet: Im Wald ist nur soviel Holz zu schlagen wie permanent nachwächst. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannt wurde, dass alle Rohstoffe und Energievorräte auf der Welt auszugehen drohen, ging sein Gebrauch auf den Umgang mit allen Ressourcen über.
In seiner ersten und älteren Bedeutung weist nachhaltig als Adjektiv oder bei adverbialem Gebrauch darauf hin, dass eine Handlung längere Zeit anhaltend wirkt.nBeispiel: Die (ungeregelte) Ressourcennutzung führt über längere Zeit zum Verlust der Ressourcen. Da das oben genannte Handlungsprinzip das Gegenteil, nämlich die Ressourcenerhaltung trotz Nutzung zum Ziel hat, ist darauf zu achten, dass die erste und die hinzugekommene Bedeutung zueinander nicht widerspruchsfrei sind (Wikipedia).
Was ist wichtiger: Sprache oder Nachhaltigkeit?
Die Lesefähigkeit der 15-Jährigen hält sich in der Schweiz seit dem Jahr 2000 stabil bei rund 80 Prozent. Das heisst, dass 80 Prozen der Schülerinnen und Schüler am Ende der obligatorischen Schulzeit über Lesefähigkeiten verfügen, die zur Bewältigung des modernen Lebensalltags mindestens erforderlich sind. Bedeutet hier der „moderne Lebensalltag“ Blick- und 20 Minuten-Lesen, SVP-Plakate verstehen, Emojis, also Bildschriftzeichen‘ (in Form eines Piktogramms und/oder Ideograms) anstatt Schrift zu verwenden, Akronyme („4U“) zu gebrauchen, um eine Handlung oder eine Gemütslage auszudrücken? Fazit: 20 Prozent der Schweizer sind also ausserstande, einen „modernen Lebensalltag“ zu führen. Leer schlucken ist erlaubt … .