26. April 2022 Doris Schöni 0Comment

Für die Gräueltaten von Butscha und Kramatorsk könne Putin, so Stefan Trechsel, Strafrechtler, Schweizer Rechtswissenschaftler und Richter am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, kaum vor Gericht gestellt werden, denn „Macht kommt vor Recht.“ (Kantharos, Griechisches Unterrichtswerk, Lektion 30):

Auf die folgenden Fragen antwortet Stefan Trechsel; „Von Natur aus ist das Unrecht leiden schändlicher, vom Gesetz her aber das Unrecht tun. Dieses ist nämlich auch nicht das Schicksal eines Mannes, das Unrecht leiden, sondern das irgendeines Sklaven, für den es besser ist tot zu sein, als zu leben, der, wenn er Unrecht erleidet, nicht imstande ist, sich selbst zu helfen und auch nicht irgendeinem anderen.

Ich glaube aber, dass die meisten, wobei sie die Stärkeren der Menschen und die, die mächtig sind mehr zu besitzen, einschüchtern, sagen, dass das Mehr-haben-wollen schändlich und ungerecht sei, und dass dieses das Unrecht tun sei, das Streben danach, mehr zu haben als die anderen. Ich glaube, die Natur selbst zeigt es , dass es gerecht ist, dass der Bessere mehr hat als der Untüchtigere und der Fähigere mehr als der Unfähigere. Dies zeigt sich an vielen Stellen, dass es sich so verhält, sowohl bei den anderen Lebewesen, als auch bei den Menschen, dass das Gerechte so definiert ist: dass die Stärkeren über die Schwächeren herrschen und sie übervorteilen.“

Was muss geschehen, dass auch ein Staatspräsident für ein Verbrechen der Truppen verurteilt werden kann?

„Dafür braucht es den Nachweis, dass der Präsident Kenntnis hatte von diesen Vorfällen. Am deutlichsten ist dies der Fall, wenn er die Taten selbst angeordnet hat. Doch eine Verurteilung ist auch möglich, wenn ein direkter Befehl nicht nachgewiesen werden kann. Der Präsident ist wie auch alle übrigen Kommandanten verpflichtet, Kriegsverbrechen zu verhindern. Wenn solche Verantwortliche die Möglichkeit, Kriegsverbrechen zu stoppen, nicht wahrnehmen, dann können sie auch für dieses Unterlassen verurteilt werden. Wichtig sind alle Verfahren, aber das Schwergewicht liegt sicher bei der Internationalen Gerichtsbarkeit“.

Konnte jemals ein Präsident wegen verletzter Kommandantenpflicht verurteilt werden?

„Ein Präsident wurde meines Wissens noch nie verurteilt. Im Fall des jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic wäre es nach allgemeiner Meinung wohl zu einer Verurteilung gekommen, er war am Verfahren beteiligt. Aber er hat sich durch seinen Tod dem Urteil entzogen und blieb damit formell unschuldig. Eine Verurteilung wegen unterlassener Kommandopflicht auf anderen Stufen ist jedoch juristisch nichts Ungewöhnliches“.

Das Urteil welches Gerichtshofs hätte die grösste Wirkung?

„Ich halte die Arbeit vom Internationalen Strafgericht für wichtig und essenziell. Das ist das Gericht, das alle führenden Persönlichkeiten in einem solchen Fall beurteilen sollte. Die nationale Justiz hingegen wird eher am Rand tätig. Im nationalen Bereich geht es häufig, aber durchaus nicht immer, um Verfahren gegen Staatsangehörige jenes Staates, der das Verfahren durchführt. Wichtig sind alle Verfahren, aber das Schwergewicht liegt sicher bei der Internationalen Gerichtsbarkeit“.

Russland und die Ukraine anerkennen den Internationalen Gerichtshof nicht: Ginge das Urteil dann überhaupt über eine Signalwirkung hinaus?

„Ja, denn wenn ein internationales Gericht ein Urteil fällt, dann ist es rechtsgültig. Wie wirksam das Urteil ist, ist jedoch eine andere Frage. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshof für Ex-Jugoslawien enthält zum Beispiel Regeln für die Vollstreckung der Urteile. Die vom Gericht verhängten Strafen werden auch wirklich vollzogen. Das hat insgesamt gut funktioniert“.

Mit Russland haben wir es mit einem mächtigen Staat zu tun. Welche Rolle spielt die Politik im Gerichtsverfahren?

„Im Ukraine-Russland-Konflikt wird die Politisierung klar viel massiver ausfallen als im Fall von Ex-Jugoslawien. Damals war sich die Welt einig darüber, dass Kriegsverbrechen begangen wurden und diese auch bestraft werden müssen. Im Ukraine-Russland-Konflikt ist es viel schwieriger, weil Russland alle Schuld und Verantwortlichkeit abstreitet und sein eigenes Vorgehen als legitim erachtet.

Die Politik könnte also auch Urteile verhindern?

„Ja, es ist in diesem Fall schwieriger, einen politischen Konsens zu finden, obwohl klar Völkerverbrechen vorliegen. Einerseits besitzt Russland das Vetorecht im UNO-Sicherheitsrat, andererseits kann man auch China nicht trauen, wenn es um die Durchsetzung des Rechts geht. Dem Recht kommt insgesamt weniger Bedeutung zu. Macht kommt vor Recht. Ob etwas geschieht, ist abhängig von Machtverhältnissen. Unter diesem Gesichtspunkt sieht es im Ukraine-Russland-Konflikt schwierig aus“.

Wird es Ihrer Meinung nach überhaupt Verurteilungen geben?

„Ich glaube kaum, dass es bei diesem grossen politischen Widerstand überhaupt zu Urteilen der Internationalen Gerichtsbarkeit kommen wird. Russland müsste sich überhaupt erst auf ein Strafverfahren einlassen. Das ist sehr unwahrscheinlich bei den jetzigen Machtverhältnissen. Damit es zu einer Verurteilung von Präsident Putin kommen könnte, müsste schon die russische Föderation zusammenbrechen oder Putin entmachtet werden“.

Macht kommt vor Recht: Diese These verhindert die Verurteilung von Kriegsverbrechen. Ist also das Internationale Gericht ein Papiertiger? Nach Wikipedia bezeichnet „Macht die Fähigkeit einer Person oder Gruppe, auf das Denken und Verhalten einzelner Personen, sozialer Gruppen oder Bevölkerungsteile so einzuwirken, dass diese sich ihren Ansichten oder Wünschen unterordnen und entsprechend verhalten“.

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