Eine schweizerische Band mit Rasta-Locken spielte in einem Restaurant in der Lorraine Reggae. Einige Zuhörer(innen) riefen „Rassismus“ und „kulturelle Aneignung“; der Beizer stoppte die Band. Diese Saure-Gurkenzeit-News schwappte durch Europa und ein heftige Kontroverse brach aus. Man stritt über den Begriff „kulturelle Aneignung“. Wikipedia definiert dieses Konstrukt folgendermassen: Mit dem Begriff Kulturelle Aneignung wird die Übernahme eines Bestandteils einer Kultur von Trägern einer anderen Kultur oder Identität bezeichnet. Die ethische Dimension kultureller Aneignung wird in der Regel nur dann thematisiert, wenn die angeeigneten Kulturelemente einer Minderheit angehören, die als sozial, politisch, wirtschaftlich oder militärisch benachteiligt gilt. Die Kultur werde somit in der Tradition historischer Unterdrückung ihrem Kontext entrissen.
Kulturelle Aneignung ist gemäss dieser Definition von kulturellem Austausch abzugrenzen: Bei kultureller Aneignung würden die angeeigneten Bestandteile kultureller Identität zur Ware gemacht und damit trivialisiert. Zudem würden die angeeigneten Kulturelemente oftmals falsch, verzerrt oder übertrieben reproduziert, was zur Förderung von Stereotypen führen kann. Kultureller Austausch dagegen basiert auf Wertschätzung und Respekt und findet meist im Rahmen eines gegenseitigen Kennenlernens der Träger der unterschiedlichen Kulturen statt. Kritiker geben zu bedenken, dass Kulturen sich gegenseitig beeinflussen und diese Dynamiken bei einer kompromisslosen Verwendung des Konzepts übermässig stigmatisiert würden. Einige Kritik am Konzept sieht darin identitätspolitische Tendenzen.
Erste Erwähnungen erfuhr die „kulturelle Aneignung“ in den Cultural Studies und Media Studies im angelsächsischen Sprachraum in den 1970er und 1980er Jahren.
Was in der Brasserie Lorraine geschehen ist, zeigt einmal mehr die Ignoranz, mit der heute selbst im Stadtrat politisiert wird. Es ist peinlich, wie junge Politikerinnen kulturell unbedarft sind und ihre Nasenspitzen nicht über das heutige Modethema Rassismus strecken.
Haben sich die Menschen, die sich während der Reggae-Darbietung „unwohl“ gefühlt haben, überlegt, dass es eine „kulturelle Aneignung“ ist, wenn in Israel Johann Sebastian Bach (Deutscher) und Wolfgang Amadeus Mozart (Österreicher) gespielt wird? Wenn in Lagos ein begnadeter nigerianischer Pianist Frédéric Chopin interpretiert? Was soll der Unsinn mit der „kulturellen Aneignung“? In jeder Epoche fanden „kulturelle Aneignungen“ statt. Pablo Picasso liess sich von der Yoruba-Kunst „inspirieren“, ebenso Alberto Giacometti von etruskischen Statuen. Was wäre, hätte Janis Joplin keine Blues gesungen? Um sich nicht mehr „unwohl“ zu fühlen, müssten sich solche Menschen intensiv mit Bildung und Geschichte befassen.
Es ist eben einfacher, über „kulturelle Aneignungen“ zu debattieren, anstatt sich dem alltäglichen, banalen (sic!) Rassismus, welcher die nicht weisshäutigen Menschen erdulden, zu beschäftigen. Warum helfen diese geschichtsklitterenden (vgl. Zunft zum Mohren in Bern) Eiferer den Kongolesen oder Nigerianern nicht auf den Sozialämtern von Gemeinden? Dort würden sie wirklichen Rassismus kennen lernen.