9. Dezember 2019 Doris Schöni 1Comment

Wir werden ihn vom Hauptbahnhof abholen. Er vermeidet den Hitler-Gruss, sagt nicht „Heil Hitler“, sondern einfach „Grüss Gott“. Ist er etwa im Exil  fromm geworden? Wir lassen ihn im Auto vorne sitzen und führen ihn zu uns nach Hause. Wir setzen uns an den steinernden Gartentisch, bieten Mineralwasser, Fruchtsäfte, Süssgetränke.Tee und Kaffee an. Hitler wählt den Tee aus und bedient sich eines grossen Stückes der beim besten Confiseur der Stadt gekauften Schwarzwälder-Torte. Seine Hände zittern noch immer, also bekleckert er dasTischtuch mit Kuchen und vergiesst Tee über seine Kravatte. Er entschuldiigt sich nicht für seine Missgeschicke. Dann wendet er sich uns zu und fragt mit etwas knarrender Stimme: „Und Sie wollen also als Erste meinen Klon interviewen“. Wir sind verwirrt, denn wir halten Hitler für Hitler und nicht für seinen Klon. „Der ist doch identisch“, wagen wir verzagt einzuwenden. Hitler (oder sein Klon?) steht auf, nimmt Haltung an und ruft: „Ich bin Adolf Hitlers Klon so wahr ich hier stehe“. Wir nicken beklommen, Mikrofon und Videokamera werden eingeschaltet, das Interview beginnt.

Wie geht es Ihnen, Herr Hitler?

Schlecht, sehr schlecht, miserabel, seitdem man mir meine Medikamente weggenommen hat. Keine Visionen mehr, nur grauer Alltag. Auf der anderen Seite bin ich glücklich über den Orden, der mir von diesem südamerikanischen Land verliehen worden ist.

Bekamen Sie nicht Ihre Medikamente? Hat Ihnen Dr. Morell – oder sein Klon – nicht täglich Opiate und Morphin gespritzt?

Hitler schwitzt und ist im Begriff, wütend zu werden: Dr. Morell war mein Freund. Er war mir treu ergeben. Nie hätte er mir verbotene Substanzen verabreicht. Ich muss Sie doch bitten … .

Und was ist mit Pervitin, der frei verfügbaren Droge für Ihre Soldaten, die auch Ihnen  zugänglich …

… Blödsinn. Verleumdung. Aus der Luft gegriffene Lügen. Hören Sie doch auf …

Wie war Ihr Leben im Exil?

Ganz angenehm, aber unangenehm frustrierend. Ich war zum Nichtstun verdammt. Lediglich Hunden Befehle zu erteilen, sie zu beherrschen, befriedigte mich nicht. Also begann ich, Tiere in meiner Umgebung zu quälen, Vögel, Hunde, Katzen, Eidechsen, Meerschweinchen, Schlangen. Ich bildete mir ein, es seien Juden.

Hassen Sie die  Juden noch immer?

Sie haben mein Talent nicht erkannt und mir die Aufnahme in die Kunstakademie vereitelt.

Wären Sie lieber ein mittelloser und unbekannter Kunstmaler geworden anstatt des reichen und und weltverhassten Führers?

Ausserdem sind die Juden Brunnenvergifter und zetteln immer wieder Weltverschwörungen an. Sie besitzen die grössten Einkommen und Vermögen in der Welt und besetzen die wichtigsten Posten in der Filmproduktion, in Theatern, Zeitungen, Literaurbetrieben und im Kunsthandel.

Neidisch?

Bei dieser Frage läuft Adolf Hitlers Gesicht rot an, Speichel tropft aus seinen Mundwinkeln und er knallt seine rechte Faust auf den Tisch, so dass Gläser, Kannen, Flaschen und auch wir erzittern.

Quatsch. Ich stehe über allen, befehle allen, dominiere alle. Hunderttausende haben mir zugejubelt und Sieg-Heil geschrien. Sie haben auf meinen Kopf Treue geschworen, die Treue zum Dritten Reich – und das war und bin ich.

Das Dritte Reich hat 60 Millionen Tote gefordert und ist kläglich untergegangen. Am Untergang seien die Deutschen schuld, sie hätten zu wenig gekämpft, stellten Sie zynisch fest. Haben Sie nie an Ihrer desaströsen Rolle gezweifelt?

Desaströs? Sprechen Sie bitte Deutsch …

Verhängnisvoll …

Blödsinn. Dem deutschen Volk ging es nie so gut, wie unter meiner Führung. Gesunde blauäugige und blonde Männer, Frauen und Kinder. Eine sportliche Jugend, adrett und sauber gekleidet. Ein Jugend, die mit Gehorsamkeit und Disziplin, Vaterlandstreue und Loyalität gegenüber Vorgesetzten zu prächtigen jungen Männern und Frauen heranwuchsen.

Veräppeln Sie uns? Die Jugendlichen, die Sie in denTod schickten, wurden nach der Gehirnwäsche in der Hitlerjugend als Kanonenfutter an die Front geschickt, und die deutschen Mädels heirateten stramme SS-Offiziere und gebaren viele arische Kinder, blond und blauäugig.Wie kommt es eigentlich, dass Sie weder blond noch blauäugig sind?

Es gibt auch Arier mit dunklen Augen und Haaren.

Selbstverständlich. Warum waren Sie denn so erpicht auf blaue Augen und blonde Haare?

Ja, wissen Sie: Um das Volk für sich zu gewinnen, muss man ihm schmeicheln und es betören. Da viele Deutsche blond und blauäugig sind. erhebt man sie zum Idol. Damit sichert man ihre Stimme oder besser: Wahlstimme.

Wurde Eva Braun auch geklont?

Nein.

Was denken Sie über die Erstarkung des Nationalsozialismus in Deutschland, vor allem in der ehemaligen DDR?

Was heisst schon Erstarkung? Nazis gab es schon immer in Deutschland, vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie werden wieder an die Macht kommen und mein Werk vollenden.

Glauben Sie das wirklich?

Ja, ja, und nochmals ja. Das deutsche Volk braucht Führer, braucht Befehle, braucht Regeln, braucht eine starke Hand. Übrigens nicht nur das deutsche Volk. Seien es die Menschen aus Polen, Ungarn, Slowenien, selbst aus Italien und Österreich. Einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen mit dem Ziel, ihn auszurotten, schmiedet ein Volk zusammen. Eine Kanzlerin, die Millionen von andersrassigen und andersgläubigen Menschen Tür und Tor zu Deutschland öffnet, gehört standesrechtlich erschossen.

Offensichtlich haben Sie im Exil weder Toleranz noch Grossmut für andersdenkende- und and andersgläubige Menschen gelernt?

Was heisst denn Toleranz? Toleranz vereinfacht alle Probleme. Tolerante Menschen haben keine Linie, schwanken zwischen gut und böse hin und her. Toleranz ist eine Schwäche. Ich verlange keine Toleranz mir gegenüber.

Und was werden Sie jetzt, da Sie nun wieder hier sind, unternehmen? Werden Sie in der Newa in St. Petersburg baden? Oder in Mallorca mit den Ballermännern Kraft durch Freude feiern? Oder in Frankreich Französisch lernen?

Dummes Geschwätz. Ich werde meine Männer, das heisst, ihre Klons, und ihre Nachfahren finden und sammeln. Wir werden Strategien ausarbeiten, um neue Kriege zu führen und ganz Europa zu erobern. Wir werden …

Um Kriege zu führen, brauchen Sie Soldaten. Ist es nicht fraglich, ob die heutigen deutschen Staatsbürger gegen den Rest der ganzen Welt kämpfen wollen?

Ja, wo leben Sie eigentlich? Der richtige Augenblick wird bald kommen, in dem die Männer wieder danach lechzen, zu kämpfen und  richtige Männer zu sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Judenweiber die Männer ja entmannt.

Welche Judenfrauen? Wie entmannt? Sie scheinen Geschichtsklitterung zu betreiben.

Die Judenweiber eben. Sie entmannten alle europäischen und amerikanischen Männer mit Co2-Emissionen und engen Bluejeans, um ihre Spermien zu verringern. Nun werden weniger Kinder produziert und die Männer sind Schlappschwänze geworden, die Kinderwagen schieben und Wäsche aufhängen. Eine Schande und ein Hohn. Und die Homos feiern Urständ. Heiraten einen Mann und zeugen keine Kinder. Hätte doch Himmler alle vergast …

Beabsichtigen Sie eigentlich, Ihren Klon zu klonen?

Auf jeden  Fall.Ich werde mehrere Klons von meinem Klon herstellen lassen und werde auch die Klons meiner Anhänger dazu anhalten. Daraus wird eine riesige Menge von Führern, Leitern, Generälen, Soldaten, Polizisten, Spitzeln, Frustrierten, Wütenden,  Versagern und Hassern. Diese Menge wird kämpfen, warum auch immer.

Planen Sie also einen Dritten Weltkrieg?

Ja. Die Erde ist überbevölkert. Die Menschen tanzen einander auf der Nase herum. Redimension ist das Zauberwort. Die Folge von Redmension heisst Exekution. Exekution ist nur durch Kriege möglich. Mit all den hochpotenten Waffen, über die wir heute verfügen, können wir Zweidrittel der Menschen eliminieren.

Welche Menschen gedenken Sie, zu eliminieren?

Juden, Muslime, Zigeuner, Homosexuelle, körperlich und geistig Behinderte, dunkelhäutige Menschen, Faulpelze, Querulanten, Alte und Demente, Unangepasste, Drogenabhängige …

Was, Sie wollen Ihre dubiosen Medikamente verbieten?

… Nein, natürlich nicht den Herrschenden, nur den Untermenschen. Zu diesen zählen auch noch sogenannte Gutmenschen, Miliitäverweigerer, Kommunisten, Cartoonisten, abstrakte Kunstmaler und Bildhauer, Humoristen, Leserbriefschreiber, Geschichtsprofessoren, Psychiater und Psychologen und natürlich Pazifisten.

Verstehen wir uns richtig: All diese Menschen haben in Ihrem vierten Reich keine Rechte mehr?

Man hat nur so viele Rechte, wie man Macht hat.

Herr Hitler, danke für das Gespräch.

Ich erinnere Sie daran, dass Sie mir das Interview vor der Veröffentlichung zeigen müssen, sonst …

Zu Befehl, Adolf Hitler, bald haben Sie die Macht, uns umbringen zu lassen.

Ja, davon werde ich bestimmt Gebrauch machen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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