8. Februar 2018 Doris Schöni 0Comment

Es war einmal – die Idee einiger gutmeinenden Personen aus Muri und anderswo, die Lücke im winterlichen gastronomischen Niemandsland zwischen dem Dählhölzli und dem Flughafen zu füllen. Aus diesem Grund wurde das „Lückebüesserli“ gegründet und seit 2011 bewirtschaftete der Verein „Lückebüesserli“ einen Imbissstand auf dem Muribadparkplatz. Am Anfang stellten sich Gäste spärlich ein, doch dann wurde das adhoc-Beizli immer populärer. Der Imbisswagen genügte nicht mehr, deshalb wurde ein Grillhäuschen und ein Zelt zugestellt. 2017 fand das Lückebüesserli zum letzten Mal auf dem Muribadparkplatz statt. Laut Regierungsstatthalteramt befindet sich der Parkplatz im Naturschutzgebiet. Deshalb musste das Lückebüesserli weichen. Der Gemeinderat von Muri stellte dem Verein Lückebüesserli das Muribad in Aussicht. Der Verein nahm dankend an – nicht wissend, was alles auf ihn zukam (s. Blog 20.01: Die wahre Demokratie, oder: Zickerich- anstatt Zickenkrieg.

Die Krönung der Bürokratie ereignete sich drei Wochen vor Beendigung des Lückebüesserli-Betriebs (geöffnet von Anfang Dezember bis Ende Februar): Die „Lebensmitteler“ suchten das Beizli heim. Das kantonale Laboratorium in Bern (Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern) erschien mit zwei Fachleuten, die eine grosse Liste mit Hygienemängeln verfasste. Das Fazit der „Lebensmitteler“ lautete: „Putzä“ mit zehn Ausrufzeichen.

Laut Aargauer Zeitung (26.7.2017) „leiden immer mehr Schweizer an Allergien und Intoleranzen. Diverse Studien kommen zum selben Fazit: Eine übertriebene Hygiene trägt zum rasanten Anstieg bei“. „In der Schweiz sind gegen drei Millionen Menschen von Allergien und Intoleranzen betroffen, besonders häufig Kinder und Jugendliche“, so die Stiftung aha! Allergiezentrum Schweiz. Rund 20 Prozent der Bevölkerung hätten eine Pollenallergie, bis zu 15 Prozent Asthma und gegen 20 Prozent der Kleinkinder würden an Neurodermitis leiden – Tendenz steigend.  Wie mehrere Studien unabhängig voneinander nachweisen, lösen insbesondere zu hygienische Lebensumstände Allergien aus. Prof. Dr. Philippe Eigenmann: «Ich schätze, es wird noch Jahre dauern, bis wir die Komplexität vertieft verstanden haben.» Bis dahin rät der Forscher, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen und so gut es geht einer natürlichen Lebensweise nachzugehen. Dies beginne bereits in den ersten Lebensmonaten. „Haben Sie zudem keine Angst vor Bakterien“, empfiehlt der Genfer Allergologe. Kinder sollten ruhig im Sandkasten spielen dürfen, ohne gleich danach die Hände waschen zu müssen. Und fügt an: „Ein übertriebenes Hygienebedürfnis gilt es zu überdenken.“

Denkste! Solche Erkenntnisse sind noch nicht bis ins kantonale Laboratorium des Kantons Bern gelangt. Mit äussester Akribie suchten und fanden die Fachleute Unsauberkeiten, und die Frau im Zweigespann urteilte schneidend: „Dräckig“. Auch die Umgebung von Imbisswagen, Feuerhäuschen und Zelt verurteilte sie streng: „Unordentlich“. Aus ihrem warmen Büro hatte sie nicht mitbekommen, dass einer der Stürme das Zelt weggetragen hatte und die Inneneinrichtung des Zeltes in aller Eile gerettet und irgendwo platziert werden musste. Zur Liste der Mängel, die binnen zehn Tagen ausgeräumt werden mussten, gab sie auch apodiktische Ratschläge: Die Grillmeister (sie grillieren auf offenem Feuer Bratwürste und Servelats) seien verpflichtet, sich nach jeder Wurst die Hände gründlich zu waschen. Für diese Waschung sei ein Eimer mit warmem Wasser, Seife und sauberem Handtuch bereitzustellen. Unbeleckt von der Tatsache, dass das Lückebüesserli-Team jeden Tropfen Wasser herbeischleppt, da das fliessende Wasser im Muribad während des Winters abgestellt bleiben muss, verordnete sie diese Auflage. „Putzä, putzä müesst dr“, trompetete sie triumphierend. Als ob „putzä“ das Wichtigste im Leben sei.

Während sieben Saisons nun betreibt das Lückebüesserli das adhoc-Beizli. Noch nie hat sich ein Gast beschwert, er oder sie habe nach dem Genuss einer Wurst, eines Kaffees oder Tees, eines Lachsbrötlis, eines Hobelkäseplättlis, einer Suppe oder eines Fondues Magenbeschwerden erlitten. Die Betreiber arbeiten ehrenamtlich, keiner kommt aus dem Gastgewerbe, alle meistern einen Haushalt. Der Erfolg in dieser siebten Auflage ist erstaunlich: Die Aussicht auf Aare und Flughafen zieht die Gäste magisch an, das Naturschutzgebiet Muribadparkplatz mit der Blechlawine voller Abgase schneidet im Vergleich sehr schlecht ab.  

Wo ist der Menschenverstand in der heutigen Zeit geblieben? Die aktuelle Hygiene-Hysterie hygienisiert die Menschen krank. Die Eltern packen ihre Sprösslinge in Watte; lieber eine Allergie oder Intoleranz, als schmutzige Hände oder Schuhe. Alles wird desinfiziert mit der Folge, dass die Menschen bei jedem Keim erkranken.

Zudem: Sind die Fachexperten Hygiene im Kanton Bern nicht fähig zu differenzieren? Gibt es nicht einen ellengrossen Unterschied zwischen einem Nobelrestaurant und einem sich im Freien abspielenden Beizli, das Wind und Wetter ausgesetzt ist? Gelten dieselben Regeln hüben wie drüben? Stehen die extremen Hygienevorschriften über der Gemütlichkeit, der Geborgenheit für einsame Menschen, den Freundschaften, die am Feuer des Lückebüesserlis geschmiedet werden? Besteht der Sinn des Lebens aus Hygiene und nicht aus der Freude, die Menschen anderen Menschen verschaffen? Solche Gedanken beschäftigen das kantonale Laboratorium nicht. Seine Repräsentanten erliegen wohl dem Glauben, dass mit dem Entfernen von Schmutzpartikeln auf Gegenständen auch der Schmutz der Heuchelei und des Versagens von Ämtern getilgt werden.

„Putzä. Putzä müsst dr“: Nein, das Lückebüesserli-Team wird nicht ribbeln um des Ribbelns willen. Das Team bemüht sich um knusprige Würste, ausgezeichnete Suppen und um ein wärmendes Feuer. Das ist essenziell. Man wird einen professionellen Saubermann mit der Endreinigung des Betriebes betrauen. Und bei der Kontrolle durch das kantonale Laboratorium (die Fachexpertin: „Ich komme dann mit meinem Chef“) werde ich versuchen, den Experten von den Imbissständen im Fernen Osten zu erzählen. Dort isst man so gut, dass man glatt übersieht, wie das schmutzige Geschirr hinter dem Stand im schmutzigen Wasser des vorherigen schmutzigen Geschirrs gesäubert wird. Und merke: Keiner wird davon krank.

 

 

 

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