… im rosenroten Bademantel, aus dem das Nachthemd zipfelt. Sie möchte auf die Toilette. „Aber dort waren Sie ja gerade“, wirft ein Pfleger ein.“Hallo, hallo, ich will auf die Toilette“. Man führt sie hin. Nun kommt ein eleganter Herr mit Rollator etwas zu spät – es ist 17.30 – zum Abendessen. Er bleibt stehen und fragt: „Sie Sie sein Schätzeli?“ „Nein, ich bin seine Schwägerin“. „Ach so, er ist ihre Schwägerin.“ „Nein, er ist mein Schwager“. „Jaja“, antwortet der elegante Mann, „seine Frau. Die hat es gar nicht leicht“ und stolpert an seinen Platz. „Hallo – hallihallo“, der rosenrote Bademantel ist an den Tisch zurückgekehrt.
Vorher sassen eine Frau und ein Mann auf dem Sofa und konnten voneinander nicht lassen. Ein Ehepaar? Als sie zum Essen gerufen wurden, hopsten sie im Einklang auf dem Sofa auf und ab. Nach dem zehnten Hopsen wurden sie aus dem Sofa katapultiert und gingen Hand in Hand zum Tisch.
Eine gepflegt aussehende Damen – die Henkel ihrer Handtasche sind um den Lenker ihres Rollators befestigt – sitzt am selben Tisch wie die etwas dralle Frau, deren halber Oberschenkel aus dem Strumpfende quellt. Die Dame verlangt nach ihren eigenen Speisen, die aus dem Kühlschrank geholt werden müssen.
Von einem nicht einsehbaren Tisch tönt es zornig: „Non, pas du café au lait, du café noir“. O diese Milch-Café-Manie der Deutschschweizer!
Die Frau im rosenroten Bademantel ruft „hallo“ und will zur Toilette und dann zu Bett. Ihre Nachbarin spielt mit Brotkrümeln und wird gefüttert. Der Schwager erhält seine Flüssignahrung über die Magensonde. Er bekommt keine feste Nahrung mehr, da sein Gehirn sie in die Luft- anstatt in die Speiseröhre leitet. Dies bewirkt Lungenentzündungen. Im nächsten Jahr wird er den achtzigsten Geburtstag und gleichzeitig sein 25-jähriges Heimleben-Jubiläum feiern.
Im Auto sofort eine Zigarette, am liebsten vier oder fünf auf einmal. Auf der Autobahn in einen Betonpfeiler crashen? Aus dem dritten Stock ihres Hauses springen? Sich eine Überdosis Heroin spritzen lassen, wenn man Horror vor Spritzen hat? In Würde altern und seinen Geist beweglich halten? Bis zum „hallo, hallihallo, ich muss zur Toilette?“
Die Autobahn verpasst sie. Gerät in eine fröhliche Menschenmenge mit umgebundenen, gelb-schwarzen Halstüchern. Wäre das die Alternative? In der gut gelaunten Masse lebt man durch pralle Oberschenkel und stämmige Waden. Man erinnert sich nicht der zwischen Leben und Tod lavierenden Wesen, die auf jedes Essen lauern, als wäre es ihr letztes. Die oft eine Puppe umklammern, ein letztes Aufbäumen der Zärtlichkeit. Sie haben ebenso wenig das Bedürfnis „zu gehen“, wie der euphemistische Ausdruck für den Tod genannt wird, wie jene, die mitten im Leben stehen.
Es gibt aber auch amüsante Begebenheiten aus dem Heim, dem Kranken- und Altersheim. Eine distinguierte Dame wird von einer Pflegerin an einen anderen Tisch gebeten. Sie steht unverzüglich auf und erklärt: „Ja, ich komme, muss aber zuerst ein Taxi bestellen“.