Seitdem mir meine Blase aberkannt wurde, leide ich an entsetzlichem Durst. Ich bin immer durstig. Oftmals scheint mir, ich müsste das Mittelmeer austrinken.
Ich trinke Fruchtsäfte literweise. Sie müssen immer eiskalt sein. Ich bin ein Eis-Junky. Meine Eismaschine läuft Tag und Nacht.
Trotz der unendlichen vielen Süssgetränke bleibt mein Blutzuckerspiegel stabil. Mein Durst ist meist ungestill, ob ich nun Drachenfrucht- oder Guanabanasaft trinke. Auch Mineralwasser muss eiskalt sein. Obwohl ich dauerend friere, trinke ich schon hin und wieder heissen Schwarztee. Meine fehlende Blase hat ja nicht nur meine Nahrungsgewohnheiten verändert, sie hat auch das Vergnügen an Espressi vergällt. Zwar war ich nie eine grosse Kaffeetante, jetzt aber könnte ich völlig auf ihn verzichten. Und sonderbar: Mein Operateur interessiert sich überhaupt nicht für die Identitätsänderung einer Person, die ihrer Blase verlustigt gegangen ist. Auch meinen Durst siedelt er beim Internisten und sicherlich nicht beim Urologen an. Wie kann ein international anerkannter und ausgezeichneter Urologe derart einseitig denken? Warum verneint er den Einfluss der Blasenamputation auf die veränderten Nahrungsvorlieben?
Mir scheint, der Ursprung dieses Durstes sei ein traumatisches Erlebnis aus der Zeit meines langen Spitalaufenthaltes. Aus irgendeinem medizinischen Grund herrschte während Tagen das ärztliche Verdikt „Nur schluckweise trinken“. Damals litt ich derart an Durst, dass ich Mordpläne gegen diesen Arzt schmiedete. Ich bat, bettelte, winselte um Flüssigkeit. Ich hätte auch Lauge getrunken. Die Pflegerinnen blieben jedoch stur: Ein Zeitplan regelte die Flüssigkeitszufuhr. Und offensichtlich standen sie dem ärztlichen Gebot näher als meiner Not. Deshalb entstand mein Trauma. Und dieses Trauma macht die Getränkeproduzenten froh. Vielleicht habe ich ihren Umsatz etwas erhöht.
Apfelsaft ist mein Lieblingsgetränk. Ich trinke literweise davon. Eiskalt.
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