Sitzen zwei Frauen unterschiedlichen Alters auf einer sonnigen Terrasse einer Voralpen-Gaststätte. Würzige Luft. Kaum Gäste. Und keine kreischenden Kinder.
Die beiden Frauen am Nebentisch tönen selbstsicher, das heisst, sie sind gut vernehmbar. Es ist ein angeregtes Gespräch. Ein angeregtes Gespräch übers Putzen. Die eine putzt das, die andere jenes. Sie putzen in der Vergangenheit, in der Gegenwart, in der Zukunft und in der Zukunft der Zukunft. „Ja und weisst du, dieser Schmutz“, die andere pflichtet ihr bei „dieser Schmutz“. Dann kommt die Rede auf Frau Sowieso, die zu wenig putzt. Sie sei sich zum Putzen zu schade, diese blöde, eingebildete Kuh. „Anstatt zu putzen hört sie den ganzen Tag Opern. Opern, dieser Lärm“. Dezidiert wirft die andere ein: „Wegen dieses Lärms werden wir uns bei der Verwaltung beschweren“. Als die beiden Frauen unterschiedlichen Alters die Terrasse verlassen, nicken sie uns freundlich zu und wir nicken freundlich zurück.
Ist die Schweiz nicht das Land der Sauberfrauen? Sauberfrauen? Sexistisch unkorrekt. Saubermänner, ein stehender Begriff. In der Annahme, dass es in der Schweiz noch immer grossmehrheitlich Frauen sind, welche die Hausarbeiten erledigen, könnte man ja die Sauberfrauen Zauberfrauen – weder sexistisch noch abwertend – nennen. Die Umfrage von Yannick Wiget (vgl. Der Bund, 30.7.20) unter dem Titel „Was die Schweizer an ihren Nachbarn am meisten nervt“ ist geschlechtsneutral. Das Ergebnis dieser Umfrage ist angsteinflössend. Wenn viele Menschen in einem Haus zusammenwohnen, sind Konflikte an der Tagesordnung. Fast die Hälfte der Befragten lagen wegen Lärm mit den Nachbarn im Streit. An zweiter Stelle folgt – o, diese alte Leier – die Waschküchenbenützung. Jeder Dritte, so die Umfrage, nerve sich mindestens einmal im Monat über die gemeinsame Benützung. Der häufigste Grund für die Missstimmung sei die mangelnde Reinigung, liegengebliebene Wäsche, das Nichteinhalten des Waschplans und überzogene Nutzungszeiten. Zu anderen Ärgernissen zählen Dreck, Unordnung und Haustiere. Nicht nur zwischen Hausbewohnern, sondern auch innerhalb den eigenen vier Wänden werden Schmutz und Dreck als immer wiederkehrenden Zwist genannt.
„Das Herstellen von Sauberkeit ist heute so wichtig wie lange nicht mehr“, erklärt Jens Lönneker, Studienleiter und Geschäftsführer von rheingold salon. „Putzen hilft den Menschen, den Alltag besser zu bewältigen und einem Gefühl von Ohnmacht und Überforderung entgegen zu treten. Wir sehen eine neue Macht des Putzens.“ Geändert haben sich die zugrundeliegenden Motive: Putzen ist nicht nur ein wirksames Mittel, um die Wohnung in Ordnung zu halten, sondern leistet auch einen wertvollen Beitrag, das eigene Seelenleben zu stabilisieren. Es ist daher nicht überraschend, dass diese Tätigkeit anders wahrgenommen wird als noch in der Vergangenheit. „Ich mache Ordnung und putze, also habe ich auch das Sagen in unserem Haushalt“ sind viele Putzende überzeugt. Wer putzt, gewinnt dementsprechend an Bedeutung und „Macht“. Unabhängig von der individuellen Einstellung und Herangehensweise an das Thema Putzen zeigen sich in den Ergebnissen der Studie fünf verschiedene Putztypen, die sehr unterschiedlich mit dieser Macht umgehen.
Die Perfektionisten lieben es gerne vollkommen sauber und ordentlich. Jeder Schmutz muss sofort nach der Entstehung entfernt werden. Menschen dieses Typs versuchen durch besonders perfektionistisches Putzen, sich selbst und das Leben zu kontrollieren.
Die Kaschierer bevorzugen Ordnung an den Stellen, die für alle sichtbar sind. Offensichtliche Unordnung und Dreck müssen zwar beseitigt werden, der Putzaufwand sollte aber möglichst gering sein. Die Kaschierer demonstrieren durch ihr Putzverhalten, dass sie ihr Leben im Griff haben. Nach Ansicht der Herrscher putzt niemand so gut wie sie oder er selbst, auch wenn das Putzen an andere delegiert wird. Ihre Auffassung von Sauberkeit ist die einzige, die sie gelten lassen. Die Lebenskünstler widmen sich dem Thema Putzen mit grosser Gelassenheit und legen für sich ganz individuell fest, was sauber ist. Dazu passt, dass dieser Putztyp häufig auch ganz eigene Ordnungssysteme entwickelt.
Es existieren Hinweise auf das Vorhandensein von Hygienebewusstsein bereits in prähistorischen Zeiten. Vor 7’000 Jahren fanden die Babylonier heraus, dass verunreinigtes Wasser eine Ursache für Krankheiten darstellt. Sie entschieden sich deshalb, täglich frisches Wasser zu verwenden.Zusätzlich reinigten die Mesopotamier ihre Wohnräume mit Nebenprodukten, die während der Ernte abfielen. Die Kombination Stroh und Stock ergab einen primitiven, aber dennoch nützlichen Besen, mit dem man fleissig die Innenräume reinigte. Etwa 5’000 Jahre später stellte der Grieche Hippocrates fest, dass regelmässiges Saubermachen das Auftreten von Krankheiten deutlich eindämmt. In Pompeji zierte ein Bild der Stadtgöttin Tyche mit dem dem Satz „Cacator cave malum“ („Scheisser, hüte dich vor Ärger“) eine Hauswand. Die Römer besassen Kanalisationen und öffentliche Badehäuser. Archäologische Funde beweisen, dass man es beim Hausputz aber nicht so genau nahm. In vielen Häusern befand sich die Toilette in der Küche. Der Grund dafür war die gemeinsame Nutzung eines Abflusses für beide Zwecke. Auf Darstellungen in der jüdischen Haggadah, dem Leitfaden in Form eines Buches zur Durchführung des Erav Pessach (Fest zur Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei), gibt es bildliche Belege dafür. Bestandteil der Vorbereitungen war auch eine gründliche Reinigung des Hauses. Im ausgehenden 17. Jahrhundert stieg das Bewusstsein dafür, dass kleine Biester im Zusammenhang mit der grossen Seuche stehen. Viele Menschen beschäftigten sich mehr mit der eigenen Körperhygiene.
Zu Beginn der industriellen Revolution herrschten in vielen Hausalten furchterregende Zustände. Doch langsam kam Bewegung in die Sache. Die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Keim und Krankheit führte zur Entwicklung von Seifen, Desinfektionsmitteln und Pharmazeutica.Die Menschen erkannten, dass sie den verheerenden Krankheiten nicht hilflos gegenüberstanden. Revolutionäre Massnahmen wie Müllsammlung, die Aufbereitung von Wasser oder Gesundheitsämter verbesserten die Situation rapide. Ab sofort wusch man sich regelmässsig. Die Kindersterblichkeit sank, die Lebenserwartung stieg auf über 70 Jahre.Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts nahmen die Frauen das Ruder in die Hand. In bürgerlichen Haushalten war Putzen Teil der Aufgaben der Dienstbotinnen, beaufsichtigt durch die Dame des Hauses. Der Dienstplan sah vor, einmal wöchentlich die Küche zu scheuern und einen Fensterputz im zweiwöchigen Rhythmus. Schon 1902 gab es die ersten Staubsauger. In den 1950er-Jahren machten die Medien die Frauen zur Geschäftsführerin des Familienunternehmens. Bis in die 1960er-Jahre hinein galt ein akkurat gepflegtes Eigenheim als Stolz einer jeden Ehefrau. Schliesslich ersparte man sich Peinlichkeiten, da ja ständig jemand an die Tür klopfen konnte. Putzrituale bestimmten den Wochenplan.
Stabilisiert das Putzen tatsächlich das Seelenleben des Menschen? Putzen, diese Sisyphus-Arbeit, diese immer selbe monotone Tätigkeit destabilisiert wohl eher das menschliche Seelenleben. Welche sinnlose Beschäftigung, Staub zu wischen, der am nächsten Tag in gleicher Weise auf den Böden und Möbeln liegt. Putzen ist die unkreativste Betätigung überhaupt. Es lähmt Geist und Seele, erschöpft den Körper und verursacht Frustrationen, weil es ephemer ist. In welcher Weise verleiht die Hausarbeit Macht? Bei der Behauptung „ich putze besser als du?“ und der Gegenbehauptung „Ich spiele aber lieber besser Geige als du.“ verpufft das Machtgefühl. Es fällt schwer zu glauben, dass nass Aufnehmen glücklich und zufrieden macht. Dass blitzender Chromstahl dem Stolz jeder Frau schmeichelt, vermittelt den Eindruck, dass sie der heutigen Zeit noch nachrennt.
Die heutigen jungen Leute täten gut daran, so schnell als möglich einen Putzroboter zu entwickeln und zu verwirklichen.
Literatur:
- Die neue Macht des Putzens – Neue Wertschätzung für eine oft verkannte Tätigkeit. (In: Haushaltspflege, 2020)
- Eine kurze Geschchte des Wischs – Hausputz von der Antike bis heute, 2017 (Merbeck)