… ist noch immer Leere. Die Sinnlosigkeit des Alters ist nur zu ertragen, wenn man sich an verbotenen Hilfsmitteln vergreift. Die wenigsten Alten wagen es – ein Leben lang mit Vorschriften zugemüllt -, gegen Gesetze zu verstossen. In Angst vor Bussen halten sie sich an die skurrilsten Verbote, wundern sich nicht über Gebote, die verhängt und alsobald wieder abgeschafft werden, schieben sich vor- und rückwärts wie eine Herde verängstigter Schafe. Ja nicht Gesetze übertreten, sich einfügen ohne auf sich aufmerksam zu machen. Ein Staat von Papageien. Nachplappern, da Denken schwieriger ist als sich in psychosomatische Abhängigkeit zu begeben. Man ist wer hat man was. Beobachten Sie alte Menschen auf Spaziergängen und im Restaurant: Alle klagen über physische Beschwerden, keine und keiner gibt zu, es satt zu haben. Satt zu gehorchen, satt von Vorschriften geknebelt zu sein, satt, so zu sein, wie es eine Mehrheit befielt. Eine gehorsame Mehrheit von Frühaufstehern und Frühzubettgehern, eine Mehrheit von ängstlichen Nickern.
Nur wer die Leere als wirkliche Leere akzeptiert, nicht darauf beharrt, ein „erfülltes Leben“ geführt zu haben, braucht – um nicht in die Umnachtung zu flüchten – illegale Drogen. Die wenigsten alten Menschen protestieren gegen ihre Lebensumstände; sie salben ihre müden Glieder mit Arnikasalbe und wissen nichts über staatlich verbotene Heilmittel – Heilmittel so alt wie die Menschheit, Naturprodukte in einer Zeit, in der die Natur über den Menschen gestellt wird -, verboten auch für alte Menschen, mit oder ohne „erfülltem Leben“. Viele von ihnen brechen Brotbröckchen in den abendlichen Milchkaffee complet und fühlen sich voll, nicht leer. Sie haben eine grosse Lebenserfahrung, die keinen interessiert. Sie erzählen von früher und niemand hört hin. Sie sind so herrlich anspruchslos geworden. „Unsereiner“, auch so ein unwürdiger Ausdruck. „Unsereiner“ konnte es sich nicht leisten, die chinesische Mauer zu betreten oder auf Mexikos Pyramiden zu klettern. „Unsereiner“ freute sich über Ferien am Neuenburgersee im Zelt. Das kleine Glück. Besitzt man kleines Glück, begibt man sich nicht in die Drogenkriminalität. Alkoholabusus ist breitgefächert erlaubt in Alteneinrichtungen. Cannabis nicht. Denn die Gemeinschaft „Eltern gegen Drogen“ beherrscht auch die leeren Alten. Nicht einmal ihnen gewährt sie mildernde Umstände. Obwohl der Konsum bei ihnen weder zu Schizophrenie noch zum Täschli-Entreissen führt, sondern „lediglich“ zu einem Glückseligkeits-Augenblick, werden sie bevormundet. „Deines Bruders Hüter“ auch bei Schwestern. Wer braucht denn überhaupt einen Hüter? Schafe.
Öde Leere. Leere, die manche alten Leute mit Stimmen und Musik von Radio srf1 füllen. Und mit TV Tanz- oder Talentsuche-Unterhaltungssendungen und auch mit der tränendrückende Sendung „Happy Day“. Die Senioren schlafen darauf selig ein im Gedenken, als jung ebenfalls talentiert gewesen zu sein und in der Überzeugung an eine gerechte Welt. „Ich brauche keine Drogen“, prahlen sie unisono. Und zeigen mit ihren rheumageplagten Fingern auf die Schwachen, Willens- und Disziplinlosen, die sich nicht „im Griff“ haben. Sich „im Griff“ haben ist auch so in dünkelhafter Begriff. „Ich habe alles im Griff“ oder „unter Kontrolle“. Alles! Wirklich? Das angeblich „erfüllte Leben“? Die sie überfordernde moderne Technik? Die oftmalige Unfreundlichkeit der Jungen ihnen gegenüber? Den Islam, der die europäische Kultur vernichten will? Die AHV-Probleme? Die Patientenverfügung, die noch immer unausgefüllt auf einem Stapel von Werbebroschüren auf dem nurmehr selten gebrauchten Schreibtisch liegt? Die Einstellung zum Tod?
In einigen hundert Jahren werden die Menschen von den Medizinern vom Tod ins Leben geholt, und diese Menschen werden Schreckliches erzählen. Alles Schreckliche, von dem sie im Leben geträumt und fantasiert haben, werden sie im Tod leben und erleben. Und wenn sie dann ins Leben zurückgeholt werden, übemannt sie wieder und wieder das Schreckliche, von dem sie geträumt oder fantasiert haben.
Auch Schreckliches befreit nicht von der Leere und Öde.