Wie jung war ich, als ich mir Jean-Paul Sartres Zitat „L’enfer, c’est les autres“ als Lebensmotto auswählte? Die Jahre troffen an mir herab, das Motto blieb.
Erst später untermauerte die lateinische Sentenz „Homo homini lupus“ („Der Mensch ist des Menschen Wolf“) des römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus (ca 254-184 v. Chr.) diese Überzeugung.
Es ist anzunehmen, dass ein Ereignis die Tendenz zur Menschenbefremdlichkeit vorbereitete: Ich war fünf Jahre alt, stolze Besitzerin eines Vollgummiballes von hässlicher Farbe, dem ersten Gummiball nach dem 2. Weltkrieg. Auf die Bitte meiner älteren Schwester, den Ball mit in die Schule zu nehmen, ging ich widerstrebend ein. Da sie während des Unterrichts mit dem Ball spielte, konfizierte ihn ihr Lehrer und als Strafe blieb der Ball während einer Woche in seinem Besitz und konnte dann erst wieder erlangt werden. Ich war untröstlich, beharrte aber darauf, den Ball nach sechs Tagen selber beim Lehrer in Empfang zu nehmen. Eine Szene, die sich tief in mein Sein eingravierte, spielte sich ab. Der Lehrer, ein untersetzter Mann mit einem struppigen Bürstenschnitt, stand auf der Galerie über der Haustüre. Mit aller Kraft schleuderte er den Ball ins Erdgeschoss. Als ich ihm nachrannte, nach ihm sprang und hüpfte, vergeblich versuchte, ihn zu behändigen, erklang ein lautes, höhnisches Gelächter des Lehrers. Ich wusste es damals noch nicht: Dieses Gelächter war ein Ausdruck der Macht. Zum ersten Mal in meinem Leben erlebte ich bewusst, dass Erwachsene einen durch die Hölle treiben können.
Ein Fazit: Im alltäglichen Leben hege ich kaum Verständnis für Menschen, kleinbürgerliche, bildungsdefizitäre, grobsprachige, machthungrige, autoritäre, mainstreamaffine, ordnungsliebende, autoritätsgläubige Menschen, Massenmenschen, Durchschnittsmenschen. Abgesehen von Rassisten, Antisemiten, Islamophoben und Sektierern. Die Toleranz, die ich meine, ist meine nicht.
„Die Hölle sind die anderen“. Dieses Zitat haftet an mir wie eine Klette.