29. Juni 2022 Doris Schöni 0Comment

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, und ich kann und werde nicht aufhören, mich zu wiederholen: das Alter ist schrecklicher, als man es sich je vorstellen konnte.

Die eigene Endlichkeit, man wusste um sie, aber verdrängte diese Tatsache immer und immer wieder. Man wähnt sich jung im Denken und verhöhnt sein Alter, aber dieses holt einen erbarmungslos mit allerlei körperlichen Unbillen ein.

Zu den körperlichen Beschwerden nisten sich psychische Probleme ein. Man wehrt sich gegen den heutigen Sprachzerfall, den Verlust einer Allgemeinbildung, den Abscheu für Französisch zugunsten eines approximativen Englisch, verwahrt sich gegen Apps, Netflix und Streaming, ist von der Digitalisierung überfordert, regt sich über die nachlassenden Dienstleisungen von Post und Banken auf und verachtet den Mainstram als spiessig. Man hasst den Ausdruck „nachhaltig“, fühlt sich vom allgemeinen Gesundheitswahn und der Umweltbesorgnis angewidert und beklagt das Geschichtsunwissen. Das sind jedoch Ablenkungsmanoever, um die Endlichkeit ins Unendliche zu verschieben.

Der sogenannte „Zahn der Zeit“ nagt unaufhörlich an Körper und Geist. Unendlich- und Endlichkeit verschmelzen und verwandeln sich zu einem nebulsen Brei des Nichtwissenwollens. Die Tage, Wochen, Monate und Jahre wiederholen sich, die Alltäglichkeit lähmt. Man möchte, müsste, sollte, die Zeit drängt, es bleibt wenig Zeit, und obwohl man müsste, wollte und sollte bleibt man tatenlos vor dem TV sitzen. Man versteht die aktuelle Sprache nicht mehr, folgt auch nicht den Trends, Idolen und aufgedrängten Brands, das heisst, Marken. Man fühlt sich überlegen, weil alles zu spät ist.

Die Endlichkeit, sie ruft.

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