16. März 2023 Doris Schöni 0Comment

Nach einem Herzstillstand war er dank einer intensiven Behandlung im Spital als geheilt entlassen worden. Einige Tage später starb er an einer Lungenembolie. Er wurde knapp siebzig Jahre alt.  Zuvor hatte sich eine  hässliche Trennung ereignet, bei der um jede Kaffeebohne gekämpft wurde. Vater hatte Mutter gedemütigt, da er sich eine Geliebte zulegte. Und was für eine. Eine, die Mutter in ihrer Spiessigkeit noch übertraf. Noch angepasster, konventioneller, autoritätsgläubiger. Mein Vater hatte sie mir aufgezwungen. Ich hasste sie abgrundtief. Sprach sie von ihm, nannte sie ihn „Ihr Herr Papa“. Zudem war sie hässlich, bünzlihaft gekleidet und dumm wie Stroh. Ich zeigte ihr meine Abneigung. Provozierte sie mit diffusen politisch extremen Ansichten. Zudem gehörte sie der Christian Science-Gemeinde an, glaubte diesen Schwachsinn und schleppte Vater zu den Gottesdiensten. Und Vater, der immer über jede Religion und jeden Glauben gespottet hatte, wurde gläubig. Eines Abends, es war nach Vaters Tod, übergoss ich sie mit meinem Hass. 

Mutter ging ihren toten ex Gatten angucken. Wollte sie sich versichern, dass er wirklich verschwunden war? Meine Verachtung kochte über. Ich schrie sie an, sie sei pervers. Ohne zu antworten stieg sie aus dem Auto. Ich entsprach Vater, meine Schwester der Mutter. Auf ihrer Seite Korrektheit, Strenge, Prinzipien, auf unserer Seite … eben andere Vorstellungen…  

In der Abdankungskapelle sassen zuvorderst seine Familie und seine Geliebte. Weiter hinten sassen wir, seine ex Ehefrau mit ihren Töchtern.  Als der Sarg zum Feuer fuhr, umarmte Mutter ihre Töchter. Ich schüttelte sie vor allem Trauergästen heftig ab. Die Personenkonstellationen veränderten sich. Meine Schwester gesellte sich zur Familie und der Geliebten. Sie gingen zusammen essen. 

Zu Hause schwiegen meine Mutter und ich. Wir hatten uns nichts zu sagen. Mir scheint, ich schützte Arbeit vor und ging. Schlenderte durch die Stadt. Setzte mich an die „Front“, las und schrieb nichts. Schrieb und las nicht. Verdrängte die Abdankung. Ärgerte mich über das Präfix ab. Abdanken. Dankt man ab oder wird man abgedankt?   

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