Das weisse Haus steht verloren in der Landschaft, es ist alt und für sein Alter zu hoch, acht Stöcke hoch, zu weiss für die Landschaft und es blendet in der Abendsonne. Es wird darin gewohnt, schon immer wurde darin gewohnt, die, die es verlassen, kommen wieder mit neuen Gesichtern, Haaren, Kleidern und Leben. Im obersten Stock wohnen die Alten.
Die Alten haben aufgehört zu sprechen. Sie leben und leben und zittern beim Ticken der Wanduhr, die im Esszimmer schnurrt „ich warte“. Die Alten sitzen in der Küche und frieren im Sommer. Sie verlassen das Haus nur noch für Beerdigungen und auch die werden immer weniger. Der Mahlzeitendienst liefert gesundes Essen in Plastiktüten.
In den unteren Stockwerken leben Familien, geschiedene Frauen mit Kindern, Konkubinatspaare, Witwen, Ausländer und der Hauswart, der sich soeben mit einer Thailänderin verheiratet hat. Sie ist die einzige Hausbewohnerin, die den Alten hin und wieder einen Kuchen bringt.
Die Waschküche ist eine ständige Quelle für alle möglichen Zwiste und selbst Handgreiflichkeiten. Besonders Witwen wachen mit Argusaugen über Ordnung und Sauberkeit. Sie entdecken das hinterste Staubbällchen und Spuren von Waschpulver auf dem Waschküchenboden. Und wehe eine Wäsche hängt länger als in der Hausordnung festgelegt. „Ordnung halten“, ruft eine Witwe der Asylbewerberin aus Eritrea zu.
Das weisse Haus glänzt in der Sonne. Es ist zu hoch, behäbig und auf Ordnung wird grossen Wert gelegt. Die Alten atmen im Rhythmus der Wanduhr, die schnurrt „wie lange noch“. Die Thailänderin umwickelt die faltigen Beine und lockt ein dünnes Lächeln auf die eingefallenen Wangen. Die Familie im zweiten Stock jubelt beim Fussballspiel, die
alleinerziehende Mutter murmelt „hopp YB“ und beginnt zu weinen. Von weitem bellen Hunde, ein fehlgeleiteter Hahn kräht.
Das Haus. Das weisse Haus.
