Letzthin schwebte das Männchen vom Mond durch die geöffnete Gartentüre und setzte sich neben mich; ich war eben im Begriff, einen Katalog über die Ausstellung von Gustave Caillebotte in Martigny durchzublättern.
Das Männchen war verrunzelt, verwittert und abgelebt, klein und krumm, mit den Augen eines jungen Schimpansen, der die Welt entdeckt. Es schaute mich von unten an und piepste: „Wie geht es Ihnen?“ Es siezte mich entgegen der heutigen „frère et cochon“-Epidemie, dem Duzen, was verständlich ist angesichts der mehreren Millionen Jahre, die es auf dem Mond zugebracht hatte. Ich antwortete: „Schlecht. Und Ihnen?“ Das hinfällige Männchen murmelte etwas, das ich als „ebenfalls schlecht“ interpretierte. „Kennen Sie die Mondscheinsonate von Beethoven“, fragte ich. Es verneinte. „Schade“, meinte ich, „sie tröstet“. „Was heisst Trösten?“
Ich antwortete: „Wiktionary definiert es folgenderweise: Trösten ist eine Handlung, Geste oder Gegebenheit, die zur Linderung von psychischen oder physischen Schmerzen beiträgt. Seine Herkunft ist mittelhochdeutsch trōst, althochdeutsch trōst, germanisch trausta– ‚Trost, Zuversicht‘, und ist belegt seit dem 8. Jahrhundert. Aber im metaphysischen Sinn ist es eigentlich ein Scheinwort“. Des Männchens Wimpern flatterten: „Was meinen Sie damit?“ „Ich meine, nein, ich bin überzeugt, dass Trost nicht tröstet“.
„Was tröstet dann?“ heischte das Männchen zu wissen. „Die Mondscheinsonate?“ In belehrendem Ton plädierte ich: „Musik wühlt die Gefühle auf. Der Schmerz verstärkt sich. Tränen fliessen. Doch danach stellt sich eine – sagen wirs einmal so – besänftigende Leere ein. Eine Leere, die den Schmerz entleert hat“. Das Männchen nickte und seine Affenaugen füllten sich mit Tränen. „Warum“, fragte ich, wie ich immer alles und jedes hinterfrage, „leiden Sie unter Schmerzen?“ Das Mondmännchen zierte sich. Dann sprach es: „Meine Mondkatze ist heute gestorben“ und begann zu schluchzen. Ich schluchzte mit und stammelte: „Mein Erdenhund ebenfalls“. Das Männchen ergriff meine Hand mit seinen dürren Fingern: „Erde oder Mond, die Leiden sind dieselben“. Es schwang sich aus der Gartentüre ins Freie und entschwand im Nachthimmel.
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