Die Krokodilstränen Guy Lachappelles bei seinem Abgang beeindruckten nicht. „Selber schuld“, dachte mancheiner schadenfreudig. Die Zeitungsartikel nach Lachappelles Canossa Gang waren sonderbar ähnlich. Die Bezeichnung „Geliebte“ fand sich in allen Berichten. Keiner kam auf die Idee, die Dame als „Freundin“, „Gespielin“, „Gefährtin“, „Liebste“, „Liebhaberin“, „Intima“, etc. zu nennen.
Was auch nicht – meines Wissens – erwähnt wurde, ist die Tragik des 50-jährigen Opfers des Johannistriebes. Der Mann ist beruflich erfolgreich, leidet nicht an Geldmangel, ist bestimmt mit einer seiner Norm entsprechenden Frau verheiratet, hat Kinder – eine Holy Family. Die Jahre stapeln sich, die Leere der Fünfziger, nichts mehr erreichen, nichts mehr beweisen zu müssen, verunsichert ihn, beginnt er plötzlich, an sich zu zweifeln?
Die mittelalterlichen Mountain Bikers stürzen sich wie losgelassene Tiere über Steine und Wurzeln in Wäldern in die Tiefe, alles, was sich ihnen in den Weg stellt, muss weichen, denn sie geniessen einen sakrosankten Status (glauben sie). Die angegrauten Herren stecken in farbigen Radler-Outfits, die eigentlich schlecht zu ihren verbissenen Mienen passen. Sie müssen wohl vor allem sich selber beweisen, dass mit ihnen noch zu rechnen ist. Dass sie noch immer voll vorhanden sind.
Guy Lachappelle scheiterte an seinem Alter. Eine uneingestandene Sehnsucht, wieder jung zu sein. Und er fühlt sich wieder jung und verhält sich wie ein verliebter Sechzehnjähriger. Um seiner Freundin zu gefallen und seine Liebe zu beweisen, begeht er Dummheiten und bringt sich damit in Gefahr. Dann bricht die Verliebtheit entzwei und die wilde Leidenschaft entwickelt sich zum tiefen Hass. Wer die Trennung bewirkt hat ist nicht bekannt. Es ist anzunehmen, dass Guy Lachappelle seine Liebe gekündigt hat (wegen seiner Gattin, die keine Plattform in dieser Geschichte hat?), sonst müsste sich seine „Geliebte“ nicht mit einem Buch, in dem sie ihn als „Psychopathen“ entlarvt, an ihm rächen. Ob sie wohl vergessen hat, auf dem Vorsatzbatt den altbekannten Satz „Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig“ anzubringen? Lachappelle erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen den Schlüsselroman.
„Hass ist ein archaisches Gefühl. Und er ist, wie man bei Trennungen sieht, kein Gegensatz zur Liebe, sondern ihre Fortsetzung“ (NZZ, 21.08, 2020). Wie kann Liebe in Hass umschlagen? Wie kann es sein, dass sich ehemals Liebende nur noch bekriegen? Wie ist es möglich, dass sich zwei ausgewachsene Menschen, zwei superkluge Köpfe, derart kindisch benehmen? Beide, hätten sie doch nur ein Quentchen vor dem Sturz in die Affäre nachgedacht, hätten doch wissen müssen, dass eine Liebelei auf diesem Niveau zum Scheitern verurteilt ist. Die „Geliebte“ von Guy Lachappelle ist ebenso verantwortlich für das Disaster wie der Banker, wobei er wie ein Teenager den edlen Ritter spielte und seine Sorgfaltspflicht vernachlässigte. Und seine Position räumen musste.
Eine schöne Liebesgeschichte des 21.Jahrhunderts, nicht?
Ich finde diese Erklärung sehr gut. Da gibt es nicht viel mehr zu sagen. Natürlich kann man immer und über alles gleich ein Buch schreiben, doch wie so oft kann die Würze auch hier in der Kürze stecken.