7. August 2020 Doris Schöni 0Comment

Schattenkopie? Darunter kann man vieles verstehen. Vielleicht einen Doppelschatten? Einen Schatten des Schattens? Oder gar einen Zwillingsschatten? Laut Wikipedia ist der Schatten die unbeleuchtete Fläche eines Gegenstands, die mittels einer Lichtquelle erzeugte Projektion eines Gegenstands auf weiteren Gegenständen. allgemeiner der gesamte unbeleuchtete Raum hinter einem beleuchteten Körper – dieser Raum erstreckt sich in den Grenzen der abgeschatteten Seite bis zum Schattenwurf.

Schatten ist in den mythologischen Vorstellungen vieler Kulturen ein Begriff für das Spiegelbild der  Seele  für das „zweite Ich“ des Menschen, für dessen Doppelgänger oder Ebenbild, das meist in einem jenseitigen „Reich der Schatten“ angesiedelt und mit Dunkelheit, Nacht und Tod assoziiert wird. Der sichtbare Schatten gilt nach dem Volksglauben häufig als lebenswichtiger Bestandteil, der zum Wesen eines Menschen gehört und ihm aufgrund seiner Beweglichkeit nachfolgt und ihm vergleichbar mit dem ausströmenden Atem körperlich anhaftet. In der Ethnologie sind die Begriffe Freiseele und Schattenseele etabliert. Die Unterscheidung einer Schattenseele ausserhalb des Körpers von einer Lebensseele im Körper ist ein bis weit in vorchristliche Zeit zurückgehendes Menschenbild. Der mit einer Lebenskrise verbundene Verlust des persönlichen Schattens ist ein psychologisches Grundmotiv in der europäischen romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts.

Schatten wurden je nach Religion, Kultur und Land sehr verschieden interpretiert. Eine der spannendsten Darstellungen stammt von Plato: In einem höhlenartigen unterirdischen Raum hocken Menschen am Boden und sehen nie etwas anderes als vorbeihuschende Schatten an der Wand. Im Höhlengleichnis entwarf Plato in einer gedanklichen Versuchsanordnung das Gleichnis einer Welt, in der die Menschen für real halten, was sie sehen. In Wahrheit sehen sie nur die Abbilder einer höheren, geistigen (intelligiblen) Welt. In diesem Sinn ist das gemalte oder fotografierte Bild bloss ein Abklatsch des Scheins. Wer so etwas anfertigt, begeht nach Plato eine Täuschung, weil er nur das Schattenbild nachahmt und sich nicht mit der dem Schatten gegenüberstehenden absoluten Idee beschäftigt. Er erschafft lediglich dasselbe als Kopie.

Zunächst wird der eigene Schatten gewöhnlich negiert oder aber auf Personen und Objekte ausserhalb des eigenen Ichs projiziert. Unbewusste Schattenprojektionen auf den jeweils anderen Menschen sind typische Elemente persönlicher wie auch kollektiver (z. B. nationaler) Konflikte. Die Bewusstmachung dieser unwillkürlichen Schattenprojektionen kann daher die Möglichkeiten einer Konfliktlösung massiv verbessern. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten, seine Integration in die Gesamtpersönlichkeit, zählt nach Carl Gustav Jung deswegen zu den zentralen Aufgaben des menschlichen Reifeprozesses und stellt einen unabdingbaren Schritt auf dem Weg zur Ganzwerdung (Individuation) dar. Als vorwiegend moralisches Problem fordert sie vom Individuum beträchtliche seelische Leistungen. Häufig ist sie auch Gegenstand der Psychotherapie (z. B. Psychoanalyse), wo in einem geschützten Rahmen die weitverbreitete „Angst vor dem eigenen Schatten“ überwunden werden kann; zu diesem Schritt kann auch die bekannte Wendung „über seinen Schatten springen“ passen.

Die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen, in Träumen oft drastisch augenfällig aufgezeigten Schatten bei sich selbst, ist nach Jung sehr gewinnbringend, denn: „Es ist oft tragisch zu sehen, auf wie durchsichtige Weise ein Mensch sich selber und andern das Leben verpfuscht, aber um alles in der Welt nicht einsehen kann, inwiefern die ganze Tragödie von ihm selber ausgeht und von ihm selber immer wieder aufs Neue genährt und unterhalten wird.“ Gewöhnlich jedoch führen nicht integrierte Schattenseiten zu ihrer Projektion auf andere Personen oder Gruppen. Auf diese Weise entstehen unter anderem Vorurteile,  aber auch das bekannte „Sündenbock“–Syndrom und Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus oder auch Homophobie.

Wenn man versucht, auf seinen eigenen Schatten zu treten, wo die Sonne auch steht, verknackst man sich eher den Knöchel, als dass man ihn trifft. Wenn der Schatten eine verzerrte Kopie des Menschen ist, so ist er ein Kopieschatten.

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Adelbert von Chamisso, Der verkaufte Schatten oder Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1814) handelt von einem Mann, der seinen Schatten an den Teufel verkauft. „Schlemihl“ stammt aus dem Jiddischen und bedeutet Schlamassel, also auch: Pechvogel, Narr.

Nach einer anstrengenden Seereise lernt Peter Schlemihl in Flensbug den reichen Kaufmann Thomas John kennen, in dessen Garten er einem eigenartigen grauen Herrn begegnet. Dieser bietet ihm, im Tausch gegen seinen Schatten, einen Säckel voller Gold, der nie versiegt. Schlemihl willigt in den Handel ein. Schon bald muss er erkennen, dass dies den Ausschluss aus der menschlichen Gesellschaft bedeutet. Sobald die Menschen merken, dass er keinen Schatten hat, bekommen sie Angst und halten sich von ihm fern oder verspotten ihn. Er reist deshalb über das Gebirge zu einem Badeort und richtet sich dort mit Hilfe seines treuen Dieners Bendel so ein, dass seine Schattenlosigkeit zunächst nicht bemerkt wird. Schliesslich verliebt er sich aber in die schöne Mina, und sein Geheimnis wird von seinem zweiten Diener Rascal verraten. Nur wenn er seinen Schatten zurückbekommt, erklärt ihm Minas Vater, darf er Mina heiraten. Da erscheint der graue Mann erneut. Peter Schlemihl fordert seinen Schatten zurück, als sich ihm die wahre Natur des grauen Mannes offenbart: Er ist der Teufel, freilich ein sehr höflicher, der Interessenausgleich fordert: Der Teufel ist nur dann bereit, Schlemihl den Schatten zurückzugeben, wenn dieser ihm dafür seine Seele überlässt. Schlemihl versucht, vor ihm zu fliehen, wird aber immer wieder eingeholt. Noch einmal versucht der Teufel, ihn zu überreden, indem er ihm leihweise seinen Schatten zurückgibt und ihm so vor Augen führt, wie viel Ansehen und Prestigegewinn Peter Schlemihl erwerben könnte. Dieser lehnt ab und wirft schliesslich das Säckchen, welches er mit seinem Schatten bezahlt hatte, in einen Abgrund. Damit kappt er die letzten Bande zum Teufel. Von seinem letzten Geld kauft er sich ein Paar alte Stiefel, die sich als Siebenmeilenstiefel erweisen. Bis zum Ende der Erzählung lebt er einsam als Naturforscher.

Curt Hohoff befasste sich mit dem Text von Peter Schlemihl. „Die Schwermut ist ein durch alle Werke des Dichters gehender Ton. Sie gründet sich auf die Erkenntnis eines unendlichen Zwiespalts zwischen Sollen und Sein. Es gibt keine richtige Überbrückung dieses Zustandes, sondern nur die Reflexion auf diese Unmöglichkeit hin: den Humor als letzten Haltepunkt des Menschen vor dem Absturz. Er ist die einzig würdige Verhaltensweise für den, der sich nicht aufgibt, der sich nicht dem Teufel hingeben will. Der Humorist lebt in der Gebrochenheit, er lächelt über sich selber, er wird am Ende gar gütig und weise …“.

Soviel zum Thema „Schattenkopie“.

 

 

 

 

 

 

 

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