Darf ein kantonales Amt für eine Kritik in einem Blog den Kritiker mit Sanktionen bestrafen? Der Besuch einer Hygiene-Kontrolleurin in einem adhoc-Beizli (drei Fahrnisse während dreier Monate auf Gemeindeboden), das unentgeltlich geführt wird, war derart pedantisch und unverhältnismässig, dass einem Teammitglied der Kragen platzte, so dass es einen Blog schrieb und auf Facebook veröffentlichte. Die Teamkollegen reagierten darauf ablehnend, da sie die Angst peinigte, in der Nachinspektion werde sich die Kontrolleurin für den Blog rächen, also noch strenger urteilen und das adhoc-Beizli schliessen. Männiglich fand den Blog kontraprodukiv. Nach der Kontrolle könne man, wenn überhaupt, einen solchen Text bloggen und auf Facebook veröffentlichen.
Das ist nun eben die Frage. Sollte die Kontrolleurin den Blog vor der Nachinspektion gelesen haben, was unwahrscheinlich ist, hätte sie das Recht und die Macht, sich dafür zu rächen? Das würde bedeuten, dass die Betreiber des adhoc-Beizlis völlig ohnmächtig einer Kontrolleurin des Kantonalen Laboratoriums ausgeliefert sind. Ihr ist es von Gesetzes wegen unbenommen, milder oder schärfer über den Zustand des Beizlis zu befinden. Ist das nicht Willkür?
Zwei Beizli-Mitglieder, die sanftesten im Team, hatten die Kontrolleurin in Aktion miterlebt. Sie sei pickelhart, verstehe keinen Spass, stur, unbeugsam, unempathisch, sie übe ihre Funktion nach der strengsten Auslegung aus und lasse keine Gnade vor Recht ergehen. Das Team rät, der Kontrolleurin bei der Nachinspektion mit Respekt und Ernsthaftigkeit zu begegnen, sie ja nicht zu provozieren, keine Witze über ihre Pingeligkeit zu reissen, sich in Demut zu hüllen. Das stimmt. Aber ohne offene Kritik wird die Dame weiterhin undifferenziert (ver)urteilen. Ist man nicht bei Sinnen, wenn man zivilen Ungehorsam als Bürgerrecht betrachtet? Autoritätsgläubigkeit versus zivilen Ungehorsam.
Über Autoritätsgläubigkeit schreibt Hugo Stamm: „Der Fluch der Autoritätsgläubigkeit: Die Wertvorstellungen der meisten traditionsreichen Glaubenssysteme und Religionsgemeinschaften basieren auf dem Fundament von Angst, Sünde, Busse und Sühne. Diese Säulen des abendländischen Denkens fussen auf einem alten, meines Erachtens überholten Weltbild, das den Menschen nicht als selbstbestimmtes, geistig autonomes Individuum sieht, sondern ihm die Rolle des angepassten oder unterwürfigen Wesens zuweisen. … Das Bewusstsein von Ohnmacht und Angst bestimmt immer noch das Lebensgefühl vieler Menschen. Es hat sich über die Jahrhunderte erhalten, und vergiftet unsere Seele heute noch. Diese Autoritätsgläubigkeit untergräbt den Drang nach Freiheit. Da helfen auch Bildung und Wissen wenig, weil wir uns nicht getrauen, die Erkenntnisse umzusetzen. Wir leben verstandesmässig in der Moderne, unsere Seele hinkt aber hinterher und kann sich vom Relikt „Schuld und Sühne“ nicht befreien. Geistige Emanzipation wäre ein Gegengift. Streuen wir dieses also grosszügig in unserer Umgebung aus“.
Über den ziviler Ungehorsam schreibt Andrea Pabst: „In philosophischen Diskussionen über die Frage nach der Pflicht des Gehorsams gegenüber staatlicher Autorität gehen die historischen Bezüge bis auf Sokrates zurück. Dieser umfangreiche, vor allem rechts- und politisch-philosophische Diskurs wird im Folgenden nicht systematisch nachgezeichnet. Hervorzuheben ist, dass der darin benutzte Begriff in vielerlei Hinsicht eng mit politischen Auseinandersetzungen verknüpft ist, und es finden sich zahlreiche Bezugnahmen wie etwa auf Hannah Arendts Aussage, dass niemand das Recht habe zu gehorchen“. Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat zivilen Ungehorsam folgendermaßen definiert: „Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schliesst die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äussert, hat ausschliesslich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests“.
P.S. Sie, die Kontrolleurin, kam zusammen mit ihrem Chef. Sie schritt, im wahrsten Sinn des Wortes, die Mängelliste ab. Das Team, das heisst, drei Mitglieder und ein Putzinstitut, hatten sich geschunden, um den Anforderungen des kantonalen Laboratoriums zu genügen. Ausser etwas Schmutz im Aussenkühlschrank (in einem Falz des uralten Möbels), fehlendem Ablaufdatum auf den Schweinsbratwürsten und der neuen Auflage, in Toitoi, Grillhaus und im Zelt Heisswasserinstallationen mit Seife zur Verfügung zu stellen, hatten die beiden Abgesandten nichts mehr zu bemängeln. Ja, noch etwas: Die Küche, in der die Suppe gekocht wird, müsse noch begutachtet werden. Diese Schauküche war unsere einzige, gewonnene Schlacht im erbitterten Krieg für gleissende Hygiene im ganzen Land. Denkt man an das ganze Elend wie jenes in Flüchtlingslagern, schämt man sich für den Staat, in dem Sauberkeit und Ordnung über das Wohl der Menschen gestellt wird … .