Ich war noch sehr klein, keine drei Jahre alt, als Adolf Hitler eine grosse Veranstaltung bei uns in der Nähe durchführte. Mein Vater, ein hohes Tier in irgend einem Militär – uniformiert waren ja alle Männer -, sollte den Führer an der Veranstaltung willkommen heissen. Als seine Tochter – Söhne waren ihm noch nicht geschenkt worden – durfte ich im Sonntagskleidchen dem hohen Gast einen Blumenstrauss überreichen. Meine Eltern schärften mir ein, meinen rechten – rechten! – Arm auszustrecken und „Heil tler“ zu rufen. Diese Szene probten wir tagelang. Da ich einen kleinen Sprachfehler hatte, gelang es mir nur schwer, das H auszusprechen.
Am Tag X war ich sehr aufgeregt. Meine Hände zitterten, also goss ich Milchkaffee über mein Sonntagskleidchen. Meine Mutter schrie und zeterte und heulte, sie wisse nicht, mit was ich dem Führer unter die Augen treten könne. Meine Oma holte das sonntägliche Gewand des vorigen Jahres aus dem Keller, und obwohl es da und dort zwickte, passte es mir immer noch. Meine Mutter hörte auf zu heulen, da mein Vater schrie: Meine Stiefel sind nicht blank genug. Meine Mutter elte von dannen, und ich spielte mit dem Hund.
Um punkt 10 vor 10 holte mich mein Vater Zuhause ab, nahm mich fest an die Hand und begab sich zu einer Art Podium, wo er stillstand. Der Platz platzte aus allen Nähten wegen all der Leute, die dort jubelnd standen und „Eil tler“ riefen, obwohl der Schnäuzchenmann erst auf dem Platz einfuhr. Die Menschen klatschten und sangen, riefen immer und immer denselben Namen, doch er kam näher und näher zum Podium, wo mein Vater bolzengerade stand. Der Führer stieg aus dem Auto, hüpfte die paar Stufen hinauf und begrüsste die versammelten Männer in Uniform, darunter meinen Vater, so wie es sich gehörte. Nach dem Handschlag bugsierte mich mein Vater in die Richtung des Herrschers, steckte mir den Blumenstrauss unter den linken Arm und schubste mich. Ich sagte laut „Eil ler “ und drückte dem Führer den Blumenstrauss in die eine Hand. Mit der anderen tätschelte er mir lange, viel zu lange, meine rechte Wange. Seine tätschelnde Hand fühlte sich feucht-kalt an und trotzdem schien meine Haut zu brennen.
Beinahe 80 Jahre später ist von Hitlers Berührung ein Mal übrig geblieben. Man sieht es allerdings nur, wenn ich sonnengebräunt bin. Dann ist es dunkler als die übrige Haut. Es sieht ein wenig wie ein Derwisch – ein iranischer – aus. Im Sommer, wenn ich gebräunt bin, muss ich buchstäblich meine Haut retten, da mir internationale Gangster, die Gegenstände im Zusammenhang mit dem selbsternannten Führer für dessen Fans zusammenstehlen, die rechte Wangenhaut zu entfernen trachten. Meistens aber übertünche ich den Derwisch mit Makeup.
Das Schlimmste sind jedoch nicht die potenziellen Hauträuber. Das Mal brennt. Brennt innerlich. Lodert selbst und ist nicht zu sehen. Ich darf mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlen wird, sollte der Derwisch einmal aus mir hinausspringen. Muss ich ihn einfangen oder gehen lassen? Wird er bei mir bleiben wie ein Hündchen?
Adolf Hitler ist vor ungefähr 80 Jahren uneinsichtig und feige aus dem Leben geschieden. Seine Male brennen noch immer.