Charles de Gaulle (1890-1970) war Präsident der fünften Republik Frankreichs von 1959-1969. Zur Zeit seiner Präsidentschaft focht ich in der schweizerischen Fechtnationalmannschaft und beteiigte mich an einer Vielzahl von Fechtturnieren vornehmlich in Frankreich. Zu jener Zeit war Frankreich die führende Fechtnation.
Die Fechtturniere in Frankreich waren zu jener Zeit recht folkloristisch, wenigstens in der Provinz. Über Mittag wurden die Gefechte eingestellt, um zu essen. Man ass üppig und trank tüchtig Wein. Danach kämpfte man auf der Piste weiter, je nach Nahrung- und Alkohol-Kosum plumper und weniger präzise. Preise erhielten Zwei-Drittel der Teilnehmenden: Unter ihnen konnte man sich ganze Aussteuern erfechten, Geschirr, Besteck, Pfannen, Lampen, Kochschürzen,Topflappen; die Hauptpreise bestanden aus allerlei kitischigen Glasfiguren, aber auch französischen Kofferradios und zweifelhaften Uhren. Vor den Finalgefechten spielte die Fanfare communale einige Märsche, Fahnen wurden aufgezogen und irgend ein Minister sprach ellenlang über die politischen Aufgaben der Fechtenden. Sie wurden von ihm als sportliche Elite des Landes gelobt.
In den Sechziger Jahren beteiligten sich etliche weibliche, französische Fechturgesteine an internationalen Turnieren. Wir Schweizerinnen spotteten über sie, nannten sie „hommasse“ (Mannsweiber), sie waren durchs Band weg überaus ehrgeizig, verbissen, schlagkräftig und uralt, da wir sehr jung waren. Insgeheim hatten wir jedoch grosse Angst vor ihnen, denn sie waren uns überlegen. Im Final traf ich auf eine von ihnen, eine kräftige, breite über Dreissigjährige, mit kurzen, nach hinten gezurrtenen Haaren und grimmigem Gesichtsausdruck. Kalter Schweiss brach aus mir, als die Finalpaarungen bekannt wurden. Zudem war die Französin Linkshänderin, was für rechtshändige Fechter nachteilig ist. Als wir uns auf der erhöhten Finalpiste gegenüberstanden, johlte das chauvinistische, französische Publikum. Dummerweise war mein Fechtlehrer ebenfalls Franzose, so dass seine mir zugerufenen Ratschläge ausgebuht wurden. Offensichtlich hatte meine Gegnerin dem französischen Rotwein und dem danach gereichten Mirabellenschnaps mit Kaffee reichlich zugesprochen, jedenfalls stand sie nicht mehr ganz sicher auf ihren stämmigen Beinen. Ihre Aggressivität war nicht zu überbieten. Sie griff an,griff an, griff an, brachte mich in Bedrängnis und war auf Siegeskurs. Von irgendwo aus der Halle erschallte die Stimme meines Fechtlehrers „change de jeu“. Das war mehr als ein Ratschlag, das entsprach einer Lebensphilosophie. So änderte ich meine Taktik, griff meinerseits an und holte Treffer um Treffer auf. Nachdem ich in Führung lag, riss sich die Französin die Maske vom Kopf, stampfte mit den Füssen und schrie, ich sei brutal. Der Schiedrichter wies sie zurecht, sie stülpte sich die Maske wieder über, war aber nicht mehr in der Lage, anzugreifen oder meine Angriffe zu parieren. Nach meinem Sieg schüttelten wir uns regelkonform die Hände, meine Gegnerin hatte Tränen in den Augen, so dass sie mir leid tat, doch dann spuckte sie ein sehr hässliches Wort aus, und mein Mitleid schwand.
Vor der Siegesfeier bildete sich eine Gruppe aus Politkern, Sportfunktionären, lokalen Honoratioren, dem französischen Präsidenten des Internationalen Fechtverbands, Fechtveteranen, dem Chefkoch, der Gattin des Chefkochs, den französischen Ausrüstern und – wie Deus ex Machina – unter grossem Beifall gesellte sich der grosse Charles de Gaulle dazu. Jeder, der sprechen konnte, sprach. Über Welt- und Lokalpolitik. Über Finanzen und die Wirtschaft. Über Sport im Allgemeinen und Fechten im Besonderen. Über den Verkehr. Über die Jugend, die verheissungsvolle. Über die jungen Fechtenden, die in jeder Kategorie obsiegt hatten. Ihre glänzenden Berufschancen als Sporttreibende. Sie seien die Zukunft der Grande Nation, wobei ihnen vor lauter Begeisterung entging, dass über die Hälfte der Teilnehmer aus anderen Ländern als Frankreich stammte.
Als endlich die Siegesfeier mit der Preisverteilung begann, nach einem neuerlichen Geschmetter der Fanfare communale, betrat Charles de Gaulle das Podium und rief die Siegerin und die beiden Sieger des Florett- und Degenturniers zu sich aufs Podium. Er schüttelte mir lange die Hand, die mich von der körperlichen Anstrengung des Tages schmerzte, sagte mit seiner sonoren Stimme: Je vous félicite, Mademoiselle, und wies mich in Richtung des Gabentisches. Ohne zu zögern liess ich die drei französischen Kofferradios und die beiden zweifelhaften Uhren liegen und steuerte aufs Geschirr zu. Eigentlich hatte ich nicht im Sinn, zu heiraten, aber trotzdem behändigte ich die sechs ovalen, in einem hässlichen Braun gefertigten Keramik-Fischteller, dazu gehörende Tassen ohne Unterteller, sechs kleinere, ebenso in einem hässlichen Braun gefertigte Pizza-Teller sowie eine Küchenschürze.
In meinem Siegestaumel übersah ich die schäbige Garderobe und die völlig verschmutzten Duschen.
Danach gingen wir essen. Froschschenkel mit Knoblauch.
P.S. Sechzig Jahre später befindet sich noch immer ein ovaler, in einem hässlichen Braun gefertigter Keramik-Fischteller unter meinen Besitztümern.
P.P.S. Damals hatte ich mir geschworen, nie, wirklich nie über meine sportlichen sogenannten Exploits zu sprechen und zu schreiben, geschweige denn mich daran zu erinnern. Das Einzige, was sich mir eingeprägt hatte, war der gerufene Rat: Change de jeu.
Ob du das Fisch Geschirr bewährt hast ist nicht die wichtigste Frage, sondern wie lange hast du dir die „Presidents“ gedrückte Hand nicht gewaschen…
Sehr witzig und spannend geschrieben. Das hätte Charles de Gaulle sicher auch gefreut……